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Süden und die Schlüsselkinder

Süden und die Schlüsselkinder

Titel: Süden und die Schlüsselkinder
Autoren: Friedrich Ani
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Kneipe und trinkt viel Bier. Ich bin eh allein, das macht nichts, das kenn ich schon.«
    »Dein Papa ist im Krankenhaus«, sagte Süden. »Er ist verletzt worden, weil er einen Polizisten angegriffen hat. Aber er wird wieder gesund.«
    »Hat der Polizist auf ihn geschossen?«
    »Ja. Er hat deinen Vater in der Schulter getroffen.«
    »Warum hat mein Papa den Polizisten angegriffen?«
    »Dein Vater hat die Fanny entführt und wollte ihrer Mutter etwas antun. Die Polizei musste Fannys Mutter schützen. Du hast nicht mitbekommen, dass dein Vater im Zeno-Haus war.«
    »Hab vielleicht grad geschlafen.«
    »Ja.«
    Sie schwiegen wieder.
    Die Stimmen im Treppenhaus wurden drängender. Unter dem roten Anorak des Jungen breitete sich ein Knurren aus.
    »Die Polizisten werden dir gleich viele Fragen stellen«, sagte Süden.
    »Ist mir gleich, ich sag nichts.«
    »Das musst du auch nicht. Du bist unverletzt, du hast dich nicht in der Stadt herumgetrieben, du warst im Schrank, das ist nicht verboten.«
    »Und ich hab dir SMSe geschickt«, sagte Adrian.
    »Und ich habe dir geantwortet.«
    »Ich hab dich sauber ausgetrickst.«
    Süden sagte: »So sauber wie du hat mich noch nie jemand ausgetrickst.«
    Sie schwiegen lange.
    »Bist du mir böse?«, sagte Adrian.
    Süden wartete ab.
    »Weil ich gesagt hab, du sollst den Nils umbringen.«
    »Ich verstehe deinen Zorn. Außerdem halte ich dich für sehr mutig, Adrian.«
    »Sag Adi, wie alle anderen.«
    »Du bist mutig, Adi, das werde ich auch deinem Freund Gregor sagen. Er muss erfahren, dass es dir gutgeht.«
    »Sag ihm, er soll sein Handy reparieren.«
    »Ja. Sollen wir nach oben gehen?«
    Adrian lehnte sich fester an Süden, falls das noch möglich war.
    Der Junge weinte lautlos und hoffte, Süden würde es nicht bemerken.
    Süden weinte lautlos und hoffte, Adrian würde es nicht bemerken.
    Fast gleichzeitig hörten sie damit auf, schnieften behutsam und taten, als wäre nichts gewesen. Jemand klopfte an die Tür.
    »Gleich«, rief Süden. Nach einer Weile sagte er zu Adrian: »Fürchtest du dich vor Weihnachten?«
    »Wieso denn? Ich krieg bestimmt was geschenkt, hab mir ein Rennauto aus Holz gewünscht, so eins, wie sie Opa Arnulf in seiner Werkstatt gemacht hat. Vielleicht krieg ich das. Weihnachten ist doch schön.«
    »Du verbringst den Heiligen Abend im Zeno-Haus mit Fanny und deinen anderen Freunden.«
    »Mit dem Nepomuk, dem Schnarcher, und dem Bastian und der Clarissa. Weiß nicht, wer noch alles da ist.«
    »Und der Karla kannst du ihr Handy schenken«, sagte Süden.
    »Das stimmt, das mach ich. Da freut sie sich. Schad, dann können wir uns nicht mehr schreiben.«
    »Du leihst dir einfach Fannys Handy, wenn du mir schreiben möchtest.«
    Adrian nickte. Dann beugte er sich vor und stand mit einem Ruck auf und drehte sich zu Süden um. »Weißt du, was heut für ein Tag ist? Denk mal nach.«
    Süden dachte nach. Aber er dachte nicht an den Tag. Er dachte an den Jungen, der vor ihm stand, mit der blauen Mütze auf den roten Haaren und dem roten Anorak und den feuchten großen Augen, die vor Traurigkeit zu glühen schienen.
    »Heut ist der neunzehnte November«, sagte Adrian. Und als Süden nichts erwiderte, sagte er noch einmal: »Heut ist endlich der neunzehnte November. Wie ich das geplant hab.« Dann sah er zur Tür.
    Süden stemmte sich in die Höhe, sein Rücken und seine Beine schmerzten, und wenn er ehrlich war, hatte er kein Verlangen, diesen Raum zu verlassen und in Gesichter zu schauen, deren Blicke den zehnjährigen Adrian doch nicht erkannten.
    Wieder griff der Junge nach Südens Hand, und sie machten zwei Schritte und blieben stehen. »Du kriegst noch deinen Schal zurück«, sagte Adrian.
    »Den darfst du behalten.«
    »Ehrlich? Dann ist das mein erstes Weihnachtsgeschenk.« Und der nicht unbedingt grazile Junge stellte sich auf die Zehenspitzen, schwankte und drückte Süden einen Kuss auf die Wange. »Du musst dich mal rasieren.«
    Später am Tag empfand Süden diese Berührung wie ein Honorar, von dem er vielleicht noch am ersten Januar zehren würde.

[home]
    19
    D ie Befragungen der Polizei dauerten zwei Stunden und fanden, auf Vorschlag von Ines Hermann, im Gute-Wünsche-Raum im ersten Stock des Zeno-Hauses statt. Fünf der Erwachsenen – zwei Kommissare von der Vermisstenstelle und neben der Leiterin des Hauses die Erzieherinnen Karla Tegel und Yasmin Ebert – saßen auf Stühlen, während Tabor Süden an der Tür stehen geblieben war. Adrian saß auf der
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