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Süden und der Luftgitarrist

Süden und der Luftgitarrist

Titel: Süden und der Luftgitarrist
Autoren: Friedrich Ani
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deine Bewegungen, deine Ausgelassenheit. Aber du darfst nicht Rumhampeln, du darfst dir nicht sagen, ich mach jetzt Quatsch, ich verarsch jetzt die Leute und mich selber und die Musik. Die Musik ist da, sie ist wirklich, du kannst sie hören, sie ist laut, sehr laut, und du spielst dazu, du spielst die Riffs, die Akkorde, einzelne Noten, Soli, du tauchst in die Musik und verschwindest in ihr, und deine Seele geht in Flammen auf.«
    Er bewegte den rechten Arm auf und ab und krümmte die Finger, als halte er ein Piektrum und schlage damit auf die Saiten seines Instruments. »Das ist Anwesenheit, das ist Leben, und du teilst es mit den anderen, die vor dir oder nach dir auf die Bühne kommen, und vor allem teilst du es mit den Leuten unten im Publikum, sie feuern dich an, sie schreien deinen Namen, sie wollen, dass du dich verausgabst, dass du sie mitnimmst, dass du auch ihre Seele in Brand steckst. Das ist Luftgitarrespielen.«
    Sonja war zurückgekommen und stand stumm im Türrahmen. Als Thon zu ihr hinsah, zuckte sie mit der Schulter.
    »Faszinierend«, sagte Weber. »Und das hab ich richtig verstanden: Du bist in die Endausscheidung gekommen, du hast alle bisherigen Runden gewonnen?«
    »Ich bin im Finale, ich trete gegen Edward The Vagabond Loos an.«
    Thon stand auf und zupfte an seinem Halstuch. »Ich drücke dir die Daumen. Von mir aus sprecht mit der Mutter, und danach warten wir ab, ich bin sicher, dein Gegner taucht morgen gesund wieder auf. Womöglich hat er sich eine neue Gitarre gekauft.«
    »Oder einen neuen Gitarrenkoffer«, sagte ich.
    Thon wandte sich an Sonja. »Du und Paul, ihr nehmt die Freundin von Vanessa in die Mangel, die kommt hier nicht raus, bevor sie uns gesagt hat, wer der Mann im BMW ist.« Er steckte sich einen Zigarillo zwischen die Lippen und drehte sich zu uns um. Er wollte noch etwas zu Martin sagen, aber dann entschied er sich dagegen.
    »Bevor wir die Mutter besuchen, muss ich dir etwas zeigen«, sagte Martin im Treppenhaus zu mir. »Du bist der Einzige, der nicht darüber lachen wird.«
    Aber dann lachte ich doch.

3
    A uf der geblümten Pensionscouch, die das gleiche Muster wie die Vorhänge und die Stuhlpolster hatte , lag ein schwarzer, abgeschabter Gitarrenkoffer. Das französische Bett war mit gelben Laken überzogen und der kleine viereckige Holztisch mit der braunen Tischdecke übersät von Zeitungen, Illustrierten und Landkarten. Unter dem linken Fenster standen zwei Paar Sportschuhe, die neu aussahen, und über der Lehne des Stuhls neben dem Nachtkästchen hing ein Mantel.
    »Ich hab gesagt, sie sollen alles so lassen.« Martin deutete auf den Schrank, dessen Tür halb geöffnet war, Hemden hingen darin und auf einem Regalbrett stapelten sich Shorts und Sweatshirts. »Und jetzt mach den Gitarrenkoffer auf!«
    Ich tat es. Der Koffer war leer.
    Ich lachte höchstens zehn Sekunden, weil ich Martin nicht beleidigen wollte.
    Er zündete sich eine Salem-ohne an und winkte ab.
    »Das ist ein Nichtraucherzimmer«, sagte ich.
    »Jetzt nicht mehr«, sagte er.
    Seiner Rolle als Luftgitarrist entsprechend, reiste Edward Loos mit einem leeren Gitarrenkoffer. Eigentlich logisch. Und trotzdem lächerlich. Das dachte ausgerechnet einer, der auf der Vermisstenstelle der Kripo arbeitete und dessen eigener Vater verschwunden war, ohne dass es ihm gelang, ihn zu finden.
    »Ich hab die Reisetasche durchsucht«, sagte Martin.
    »Socken, Unterhosen, Blocks, fünftausend Euro. Wenn er überstürzt abgereist wäre, hätt er zumindest die Tasche mitgenommen.«
    Ich zog die Gardine beiseite und öffnete das Fenster. Das Zimmer ging auf die Türkenstraße hinaus, und ohne die Schallisolierung wäre es hier drin so laut wie in unseren Büros an der viel befahrenen Bayerstraße gewesen. Lieferwagen parkten in zweiter Reihe, alle zehn Meter hupten Taxifahrer, weil sie nicht voran kamen oder weil andere Taxifahrer ihnen den Weg versperrten, und die Reifen der Autos schleuderten schmutzigen Schnee auf die Bürgersteige, wo die Fußgänger ein Fluchkonzert veranstalteten. Besonders sinnvoll klangen das ununterbrochene Klingeln und Wutgeschrei der Radfahrer, die sich in beiden Richtungen der Einbahnstraße in der irren Annahme durch den Matsch kämpften, man müsse Rücksicht auf sie nehmen. Der Winter wurde mit großem Getöse verabschiedet. Ich schloss die Augen und atmete die kühle Luft ein und dachte an Sonja und die nächste Nacht, in der ich wie in den Nächten davor meinem Verlies entkommen
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