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Süden und das heimliche Leben

Süden und das heimliche Leben

Titel: Süden und das heimliche Leben
Autoren: Friedrich Ani
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haben. Damit du die Ilka findest.«
    Zum Abschied flüsterte der Bote Süden zu: Und am Jüngsten Tag findet übrigens eine Auferstehung statt.
    »Die Ilka muss gefunden werden«, sagte ein Mann, der, glaubte Süden, Olaf Schütze hieß. »Deswegen haben wir zusammengelegt, damit wir uns einen fähigen Detektiv leisten können. Wir alle hier am Tisch. Der Dieda, der Claus, der Werner, der Johann und die Charly natürlich auch. Tausend Euro. Ist nicht viel, aber Sie werden schon was rausfinden. Die Frau Liebergesell hat gesagt, Sie können was, Sie haben ein Gespür, Sie sind unbestechlich.«
    »Im übertragenen Sinn«, sagte Nickl, klopfte Süden auf den Arm und wandte sich zum Tresen. »Bring unserm unbestechlichen Süden noch ein Helles und eine Runde Obstler.« Er sah Süden an. »So was nennt man Solidarität. Wir finden die Ilka, und du bist unser Spürhund. Tausend Euro. Vertrag, alles klar. Hast du ihn dabei?«
    »Ja«, sagte Süden. Obstler, dachte er. Er sollte anfangen, sich Notizen zu machen, vor allem, sich die Namen einzuprägen.
    »Das war der Hammer, da in Helsinki«, sagte Nickl. »Ist auf einmal die Charly wie vom Erdboden verschluckt. Ich hab gedacht, ein Elch hätt die gefressen, die stehen ja da auf der Straße. Steht da plötzlich ein Elch. Die Charly nicht mehr …«
    Er redete so lange, bis Charlotte die frischen Gläser brachte. Und als alle ihren Schnaps getrunken hatten, redete er weiter. Süden machte sich keine Notizen.
     
    Nach Aussage von Claus Viebel, einem dreiundvierzigjährigen Glaser, hatte Ilka Senner manchmal ein »verträumtes Wesen«. Viebel, nach eigenen Worten früher »vollbeschäftigt im Glasfassadenbau tätig«, inzwischen »beim Glasbau gelandet und vorübergehend außer Vollzug«, beschrieb die Bedienung als einen Menschen, dessen Stimmungen häufig wechselten und der, vor allem »in Richtung Sperrstunde«, zur Schwermut neigte.
    »Das ist doch ewig weit hergeholt, was du da behauptest«, sagte Olaf Schütze. Viebel ließ ihn nicht weiter zu Wort kommen.
    »Die Ilka hat zwei Gesichter, das merkst du bloß in deinem Rausch nie. Die Ilka, Herr Süden, ist nicht so einfach. Die ist komplex, die arbeitet hier seit hundert Jahren, und ich seh die fast jeden Tag und denk mir: Die sagt was nicht. Verstehen Sie das?«
    »Wir sagen du.« Die Stimme des Wirts versank in seinem Weißbierglas. Anscheinend sah er nur selten die Person an, mit der er redete. Außer, die Person saß ihm direkt gegenüber, wie Süden.
    »Ich bin höflich zu dem Herrn Süden.« Viebel kratzte sich mit dem kleinen Finger am Schnurrbart, was er alle zehn Minuten wiederholte. Mit dem Schnauzer und den Koteletten wirkte er, als wäre er in den Siebzigern des vorigen Jahrhunderts eingefroren und vorgestern aufgetaut worden. Allerdings hatte er zu jener Zeit noch nicht gelebt. Er zündete sich eine Selbstgedrehte an, legte das Feuerzeug auf das zerknitterte Päckchen. »Was ich andeuten will, Herr Süden: Auch wenn die anderen sagen, ihr könnt was zugestoßen sein, so sag ich, es könnt auch was anderes passiert sein, nämlich ein Unglück. Dass etwas in ihr zu Bruch gegangen ist, das mein ich …«
    »Hoffentlich gehst du nicht bald zu Bruch, du Glasermeister«, sagte Johann Baumann, ein fünfundsechzigjähriger Rentner, der sein Leben, wie er sich ausdrückte, »im Schaufenster unserer schönen Stadt« verbracht hatte – als Sachbearbeiter im Finanzamt München Zentral.
    »Ich bin kein Glasermeister.« Viebel drehte den Kopf zu Süden. Der Detektiv saß an der hinteren Schmalseite des rechteckigen Tisches, der Wirt an der vorderen, Viebel und Schütze links, Ring und Baumann rechts von Süden. »Einen Betrieb führen ist nicht das, was ich will, Herr Süden, das sollen andere machen. Das muss jeder selbst entscheiden. Mein ehemaliger Chef, Hohensteiger, der konnt zehn Leute gleichzeitig dirigieren, rumscheuchen eher, aber alles unter Kontrolle, Glasfassaden Hohensteiger …«
    »In der Ilka ging etwas zu Bruch«, sagte Süden. Wäre seine Ungeduld eine tollwütige Bulldogge, kein Zwinger hätte sie mehr bremsen können, sie hätte den Glaser Viebel zerfleischt, den Finanzbeamten Baumann, den Hausmeister Ring, den Kioskbesitzer Olaf Schütze und am Ende den Wirt Nickl, bevor sie ihre blutverschmierten Zähne in den Zwiebelturm der Wirtsfrau gegraben hätte, um ihr eine letzte Chance zum Sprechen zu geben.
    So jedoch saß Süden bloß da, ein Monster aus Zorn mit menschlichem Antlitz.
    »Das war und ist
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