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Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs

Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs

Titel: Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs
Autoren: Andreas Altmann
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sofern er genug Kraft hat, sich von der Wirklichkeit etwas beibringen zu lassen –, der einen dritten Blick riskiert. Er tut das, was die Amerikaner einen »reality check« nennen. Er checkt die Tatsachen, beobachtet weder mit sanften Kuhaugen noch mit geiferndem Furor seine Umgebung. Hat der Schwarze Glück, kommt er endlich als Mensch zum Vorschein. Nicht unähnlich dem eigenen (weißen) Menschsein. Das wäre ein Wesen mit feinen Seiten und dunklen Flecken, mit einer leichtsinnigen Freude am Nächsten und einem zwischendurch gehörigen Ekel vor ihm, ja mit der Sehnsucht, sein Leben einigermaßen passabel zu bestehen, und mit der Furcht – auch das –, als Loser und Nichtsnutz zu enden.
    Ungenau beobachtet. Wer näher kommt, sehr nahe, wird eine vierte Stufe des Bewusstseins in Afrika erreichen. Sie bleibt jenen reserviert, die sich lange, ziemlich lange, dort herumtreiben. Denn sie wissen irgendwann, dass der Schwarze tatsächlich der bessere Mensch ist. Da vergnüglicher, beschwingter, verzeihender, großzügiger, (noch) nicht so geknechtet von der Gier nach Alleshabenwollen. So schreibt einer, dem Schwarze an die Gurgel sprangen, dem sie die Taschen leerraubten, dem sie mit einem Kopfschuss drohten und den sie als »white trash« oder »son of a bitch« beschimpften. Immer Ereignisse, die ich nie als Widersprüche zu meinem Wohlwollen für Afrika empfunden habe. Nur eben als Hinweise, dass nicht alle siebenhundert Millionen meine Freunde sind und dass ich mich wie mancher unter ihnen – müsste ich leben wie sie – viel eher, viel rabiater für die Spielregeln eines Banditendaseins entschieden hätte.

    REISEN IM JAHRHUNDERT DER SCHLAFMÜTZEN
    Erleuchtet wurde ich von einem Journalisten, der in einem Radiointerview wissen wollte: »Welche Landstriche kann man verschlafen?« Wir sprachen über eine Reise entlang der Westküste Afrikas. Ich war so perplex über die Frage, dass ich dem Schnarchsack empfahl, den Beruf zu wechseln. Obszöner geht es nicht. Reisen, nein aberwitziger, durch Afrika reisen und schnarchen!
    Monate später stellte sich heraus, dass ich mich bescheiden sollte. Verschlafen andere Landschaften, verpenne ich einen ganzen Zeitgeist. Ein zweites Mal begegnete ich dem Radio-Fritzen, wiedergeboren in Form einer hübschen Angestellten. Ich brauchte sie, denn böse Geister hatten mich an einen von Betonwarzen (Hotels) und Leichen (Alkoholleichen) geschändeten Ort in Vietnam verschlagen. Laut Broschüre ein »Traum von Sonne und Partys«.
    Hier die Szene, die mich endgültig in die Wirklichkeit zurückholte. Ich wollte dem Proleten-Paradies entkommen und suchte ein Reisebüro. Um meinen Abgang rechtzeitig zu organisieren. Jedes Bleiben erträgt sich leichter, wenn man weiß, dass ein Fluchtauto bereitsteht. Ich fand Quick Travel und fragte nach einem Zugticket für den nächsten Tag, von hier nach Quang Ngai.
    Das Mädchen rief am Bahnhof an. Vergeblich, da alle Tickets bereits verkauft waren. Sehr ungelegen kam der Hilfsbereiten die Absage nicht, denn jetzt war Gelegenheit, das hauseigene Angebot vorzuschlagen, Busse. Sogleich fragte Hien, ob ich einen »sleeping seat« buchen wollte. Obwohl ich tagsüber fuhr, sollte ich schlafen? Schon wieder. Die Schöne nahm mein Schafsgesicht nicht zur Kenntnis und zeigte mir das Foto eines Quick Travel Autocars , Innenansicht. Man sah lauter liebe Zeitgenossen auf ihren sleeping seats , schwer relaxed, drei mit Bierdosen in der Hand. Die meisten sahen aus, wie man sich – vielleicht war ich schon durch die zwei furchtbaren Worte manipuliert – gut gelaunte Trantüten vorstellte. Fehlte nur noch, dass Hien fragte, wann das Begleitpersonal mich umbetten sollte.
    Unübersehbar, auch in Asien griff jetzt die Komfortsucht um sich, ihre zwei besonderen Kennzeichen: immer im behüteten Rudel, immer in der Luxusklasse. Lediglich eine Minderheit will noch anders auf die Welt zugehen, nah, näher, ausgelieferter. Unbeaufsichtigt. Betrübt trottete ich hinaus und dachte an den wehmütigen Satz von Clint Eastwood: »Es gibt nur noch wenige Dinge, für die ein Mann gebraucht wird.« Herr im Himmel, ich will nicht schlafen, ich will befeuert werden.

    WELTREISENDER UND ARMES WÜRSTCHEN
    Das Oriental in Bangkok sieht von außen noch immer wie ein frisch renoviertes Altenheim für Gewerkschaftsbosse aus. Okay, für reiche Gewerkschaftsbosse. Hinter der Fassade jedoch ist das Hotel Weltklasse, weltberühmt. Viele Male wurde es zur Nummer eins gewählt. Auch klar, den
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