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Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs

Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs

Titel: Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs
Autoren: Andreas Altmann
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bewiesen, dass ich für keinen taugte, dass keiner imstande war, mir einen Hauch von Erfüllung und Freude zu verschaffen. Hatte inzwischen als Spüler, Privatchauffeur, Anlageberater, Straßenbauarbeiter, Buchklub-Vertreter, Nachtportier, Dressman, Postsortierer, Parkwächter und Fabrikarbeiter gejobbt. Ohne Vergnügen, ohne Zukunft, ohne einen Funken Hingabe.
    Ich hatte genug vom Weg, ich wollte mein Leben in den Griff bekommen, wollte einen Platz finden, der meinen Ansprüchen und Hirngespinsten entsprach. Natürlich jagte mich nebenbei die Angst, dass die Talente nie reichen würden für das andere, das geträumte Leben. Aber meine Hybris war penetranter als meine Ängste, ich bestand darauf: Eine Ziel musste her, ein Hit, das berauschende Gefühl, dass ich existierte.
    All das stürzte jetzt wieder auf mich ein, als Mister Sota seinen spirituellen Stuss vor mir ausbreitete, diese miefen Phrasen, die wie Nullen daherkamen und wie Nullen hinterm Perlmutterdunst verpufften. Seine zwei Sätze reichten und alle Wunden sprangen wieder auf, alle Narben bluteten von neuem, alle Wut auf mich (und die Welt) kam zurück.
    Etwas Seltsames passierte. Und ich weiß bis heute nicht, ob der Mönch mich nur provozieren, nur wissen wollte, wie ich auf seine Plattheiten reagieren würde. Was ging in ihm vor, als wir schweigend am Tisch saßen? Hatte er mein wütendes Gesicht gesehen? Meine wütenden Gedanken gelesen? Meinen Überdruss gespürt? Jedenfalls ergriff er plötzlich meine linke Hand und sprach den aberwitzigen Satz: »Du wirst leiden, um dich zu finden.«
    Das gefiel mir sogleich, die sieben Wörter waren pathetisch und wahr. Und schleuderten mich erneut zurück in einen Strudel von Rückblenden. Ich wollte immer glauben, dass ich das war – vielleicht war –, was die englische Sprache mit dem schönen Wort »latebloomer« bezeichnete. Ein Spätblüher, ein Spätzünder. Einer, der länger brauchte als andere, länger irrte, sich irrte. Aber doch irgendwann den Zweck in seinem Leben erkennen würde. Das, was endlich Sinn stiftete, ihn rüstete. Frühbegabte sahen anders aus, sie kamen mit dem Schraubenschlüssel oder einem Saxophon auf die Welt, wussten von Anfang an, wohin sie gehörten. Ich nicht. Nach der Reparatur eines Irrtums bereitete ich den nächsten vor. Ich hetzte von einer Niederlage in die nächste. Ich wollte – neben den Jobs – Radrenn-Profi werden (Rennräder gekauft, Rennen gefahren), dann Mister Body Building (Hanteln, Bullworker und Drückerbank gekauft, Verein beigetreten), dazwischen ein Gitarren-Gott (Gitarren gekauft, Stunden genommen), hinterher ein Schlagzeug-Gott (Schlagzeug gekauft, Autodidakt), anschließend Popstar werden (Band gegründet und von ihr gefeuert worden) und zuletzt Filmschauspieler (Schauspielschule besucht, an Theatern gespielt, TV-Rollen, wieder gefeuert). Ich wollte drei Studien auf einmal (mich an verschiedenen Universitäten immatrikuliert), ich wollte alles und wurde nichts. Ich war entweder Letzter oder Vorletzter. Oder noch trüber, nur Durchschnitt, nur einer von vielen.
    Mag sein, dass ich leiden würde. Weiterhin, noch immer. Klar war, dass ich bis zu diesem Abend, mitten auf dem Japanischen Meer, schon reichlich gespendet hatte. Die Liste der Ausweglosigkeiten war lang, der Demütigungen, der Sackgassen, der Tage und Nächte, an denen ich mein Leben als Loser aushalten musste. Dabei begannen früh die Rettungsversuche. Schon als Elfjähriger trat ich meine erste Therapie an, auf dem Überweisungsschein stand: »Schwererziehbarkeit«. Mir gefiel das Wort, irgendwie plusterte es mein Ego. Ich Narr, wäre mir bewusst gewesen, was auf mich zukam, ich hätte kleinlauter reagiert. Andere Therapien folgten, über zwei Jahrzehnte, auf verschiedenen Kontinenten. Immerhin hatte ich begriffen, dass trotz der Kinnhaken und Fallen eine Kraft in mir loderte, die von den Pleiten nichts wissen, die noch immer nicht wahrhaben wollte, dass ich am Endpunkt meines Glück und meiner Begabung angekommen war. Die renitent sich sträubte. Diese Sucht nach Leben, die hatte ich schon. Sie schien immer da.
    Sota ließ meine Hand los. Mir war, als hielte er genau so lange, wie die Erinnerungen durch meinen Kopf brausten. Er sagte ruhig: »Du kannst mir drei Fragen stellen.« Ich ertappte mich dabei, trotz der Überraschung, dass ich keinen Atemzug lang zögerte und sofort startbereit war. Kein Wunder, denn ich stellte sie mir jede Stunde. Ich sagte noch, dass ich nur eine Frage hätte,
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