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Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs

Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs

Titel: Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs
Autoren: Andreas Altmann
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nur eine einzige. Von ihr hinge alles ab. Sota nickte nur, und ich legte los: »Wird mein Leben so, wie ich es will, kreativ, werde ich das tun, was ich liebe, was mich erfüllt?« Und der Buddhist antwortete trocken und umweglos mit »ja«, schloss kurz die Augen und setzte nach: »Allerdings unter zwei Bedingungen, die erste: Du musst schreiben. Mag sein, dass du in deinem früheren Leben schon einmal mit Sprache zu tun gehabt hast. Vielleicht als Prediger, als Wandermönch. Möglich, dass du als Ketzer verbrannt worden bist. Ich spüre viel Hass in dir. Zweitens, du musst lernen, deine Einsamkeit auszuhalten. Oft ist deine geistige Verfassung zwiespältig und schwach. Dann flüchtest du in Sex. Halte das Alleinsein aus, setze es schöpferisch um. Trödle nicht, bis zu deinem nächsten Geburtstag muss ein Buch von dir erscheinen.«
    Irritiert blickte ich auf den Koreaner. Woher wusste er, dass ich schreiben wollte? (Auch das noch!) Seit ich in Pusan angekommen war, hielt ich kein Blatt Papier in Händen, keinen Notizblock, keine Seite Buch, nichts, was irgendeinen Rückschluss erlaubt hätte. Woher kannte er meine Wut? Meine Bereitschaft, vor jeder Herausforderung – sobald das Strohfeuer verglüht war und die tatsächlichen Forderungen auftraten – davonzurennen? Erstaunlich auch sein Hinweis auf die Deadline. Immerhin noch elf Monate, um rechtzeitig das Orakel zu erfüllen.
    Jetzt hätte ich viele Fragen gehabt, aber Sota verwies auf die späte Stunde, stand auf, verbeugte sich und verließ den Speisesaal. Das war ein guter Abgang, stilsicher und mysteriös. Keine Diskussionen jetzt, keine Erklärungen, keine Fußnoten.
    Eine Viertelstunde später machte ich mich auf den Weg nach unten, zum Schlafraum. Über hundert Leute übernachteten hier, ein paar flüsterten noch. Ich rauchte, durch die Fenster fielen die hellen Strahlen des Monds. Ich fand keine Ruhe, kletterte zurück aufs Deck, schlenderte zum Bug. Die warme Brise, das märchenstille, hell glänzende Meer, das Gleiten des Schiffs. Woody Allen wusste es so genau: »Was wäre ich glücklich, wenn ich nur glücklich wäre.«
    Ganz vorne, neben der Ankerwinde, sah ich den Mönch sitzen, ein Schatten, nicht eine Bewegung. Dieser Mensch tat das, was er wohl am besten konnte, er meditierte. Mir fiel wieder ein, dass ich auch etwas können wollte, was ich am besten konnte. Noch fünf Stunden nach Japan.
    Erstes Nachwort. Ein knappes Jahr später lud ich meine Freunde ein. Ich trank, um mich zu beschwichtigen. Um Mitternacht entnahm ich einem schmalen Paket – es kam an diesem Morgen per Express – ein Buch. Der Absender war ein Verleger, das Buch hatte ich geschrieben und seit ein paar Minuten feierte ich meinen Geburtstag.
    Zweites Nachwort. Ich denke noch immer mit Dankbarkeit und Staunen, auch mit einem Grinsen, an Sota. Weiß noch immer nicht, ob er ein gerissener Hallodri oder ein »Seher« war. Fest steht, alles hat er nicht gesehen. Oder wollte nicht alles sehen. Aus Taktgefühl? Aus Blindheit? Wie auch immer, es kam der Moment, in dem ich stark genug war, um zu begreifen, was ich produziert hatte: ein mäßiges Buch, stichig vor Selbstmitleid, humorlos, voller »Bekenntnisse«, die ich heute nur noch unter Androhung einer Enthauptung riskieren würde. Und der Mönch war freundlich genug, mir ebenfalls die Information zu unterschlagen, dass ich bald Geld hinlegen musste für den »Druckkostenzuschuss« und wieder Geld, um die Drucksachen eines Tages ordnungsgemäß verramschen, nein, einstampfen zu lassen. Ja, mir die knallharte Wahrheit verheimlichte, dass der »Verleger« wegen mir den Verlag gründen und wegen mir – das war unser gemeinsames Schicksal – pleite gehen würde.
    Drittes Nachwort. Heute bin ich auch dem Flop dankbar. Denn auf den vielen Seiten, überladen mit verbalen Schandflecken und inbrünstigem Pathos, gab es ein paar halbe Seiten, die »stimmten«, die den Weg Richtung Notausgang wiesen und radikal mit allen Alternativen aufräumten. Ich erkannte auf den hundert oder zweihundert Zeilen, dass mir nichts anderes mehr blieb als zu – schreiben. Dass ich keinen Broterwerb entdeckt hatte, sondern das einzige Vehikel, mit dem die Chance bestand, davonzukommen . Mit eben dem Elegantesten, was wir je erfunden hatten. Mit der deutschen Sprache: als Giftschleuder gegen alles, was verwundete, als Rettungsboot, als Fallschirm, als Lungenmaschine, als Sauerstoffgerät, als Trostpflaster und Schlupfloch, als Tarnkappe und fliegender
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