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Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen
Autoren: Ken Follett
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allerdings war nicht immer hinreichend entmutigend, und so hatten die anderen Mädchen Maud eine wirksamere Antwort beigebracht. »Ick hab da so kleene Viecher im Mösenhaar«, berlinerte sie. »Meinste, ick muss mir jetzt Sorgen machen?« Der Mann verschwand.
    Nach vier Jahren sprach Maud akzentfrei Deutsch, und bei der Arbeit im Nachtclub lernte man rasch das vulgäre Vokabular.
    Um vier Uhr morgens schloss das Nachtleben. Maud schminkte sich ab und wechselte in ihre Straßenkleidung. Dann ging sie in die Küche und bettelte um ein paar Kaffeebohnen. Ein Koch, der sie gut leiden konnte, wickelte ihr eine Handvoll Bohnen in ein Stück Papier ein.
    Die Musikerinnen wurden jeden Tag in bar bezahlt. Alle Mädchen brachten große Taschen mit, damit sie die Banknotenbündel transportieren konnten.
    Auf dem Weg hinaus nahm Maud eine Zeitung mit, die ein Gast liegen gelassen hatte. Walter würde sie gerne lesen. Eine Zeitung zu kaufen konnten sie sich nicht leisten.
    Maud verließ den Nachtclub und ging unverzüglich zur Bäckerei. Bargeld lange zu behalten war gefährlich: Bis zum Abend bekam man vielleicht nicht einmal mehr einen Laib Brot dafür. Mehrere Frauen warteten bereits vor dem Geschäft in der Kälte. Um halb fünf öffnete der Bäcker die Tür und schrieb seine Preise mit Kreide auf eine Tafel. Heute kostete ein Brot 127 Milliarden Mark.
    Maud kaufte vier Laibe. Sie konnten heute nicht alles aufessen, aber das spielte keine Rolle. Mit altbackenem Brot konnte man Suppe andicken; mit Banknoten nicht.
    Um sechs kam sie nach Hause. Später würde sie die Kinder zu den Großeltern bringen, damit sie schlafen konnte. Jetzt hatte sie eine Stunde mit Walter. Das war die schönste Zeit des Tages.
    Sie machte Frühstück und brachte es auf einem Tablett ins Schlafzimmer. »Schau«, sagte sie. »Frisches Brot, Kaffee und … ein Dollar!«
    »Gut gemacht!« Er küsste sie. »Was sollen wir uns kaufen?« Er schauderte in seinem Schlafanzug. »Wir könnten Kohle brauchen.«
    »Nur keine Eile. Wir können den Dollar erst mal behalten, wenn du einverstanden bist. Nächste Woche ist er noch genauso viel wert wie heute. Wenn dir kalt ist, kann ich dich wärmen.«
    Er grinste. »Na, dann komm.«
    Sie zog sich aus und ging ins Bett.
    Sie aßen Brot, tranken Kaffee und liebten sich. Sex war noch immer aufregend, auch wenn sie sich dabei nicht mehr so viel Zeit lassen konnten wie in ihren ersten gemeinsamen Monaten.
    Hinterher las Walter die mitgebrachte Zeitung. »Mit der nationalen Revolution in München ist es vorbei«, sagte er.
    »Endgültig?«
    Walter zuckte mit den Schultern. »Man hat den Anführer festgenommen, Adolf Hitler.«
    »Den Vorsitzenden dieser Partei, von der Robert so begeistert ist?«
    »Genau. Hitler wird jetzt wegen Hochverrats angeklagt. Er sitzt hinter Gittern.«
    »Gut«, sagte Maud erleichtert. »Gott sei Dank ist das vorbei.«

Kapitel 42
    Dezember 1923 bis Januar 1924
    Am Tag vor der Parlamentswahl stieg Earl Fitzherbert um drei Uhr nachmittags vor dem Rathaus von Aberowen auf ein Podium. Er trug einen Gesellschaftsanzug und Zylinder. Die Konservativen in der ersten Reihe brachen in Jubel aus, doch der größte Teil der Menge buhte. Ein Bergarbeiter warf eine zusammengeknüllte Zeitung nach dem Earl, doch Billy sagte: »Jetzt nicht, Jungs, lasst ihn reden.«
    Tief hängende Wolken verdunkelten den Winternachmittag, und die Straßenlaternen brannten bereits. Es regnete; dennoch stand eine große Menschenmenge vor dem Podium: zwei- oder dreihundert Personen, vor allem Bergleute mit ihren Mützen, dazu ein paar Melonenträger in der ersten Reihe und hier und da Frauen unter Regenschirmen. An den Rändern der Menge spielten Kinder auf den nassen Pflastersteinen.
    Fitz machte Wahlkampf für den amtierenden Abgeordneten, Perceval Jones. Er begann seine Rede, indem er über Zölle sprach. Das passte Billy sehr gut. Über Zölle konnte Fitz den ganzen Tag reden, ohne dass er damit die Herzen der Bürger von Aberowen erreichte. Auf dem Papier waren die Zölle das große Thema der Wahl: Die Konservativen schlugen vor, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, indem man die Abgaben auf Importe erhöhte, um die britischen Unternehmen zu schützen. Damit hatten sie die Liberalen in der Opposition vereint gegen sich, denn freier Handel war der zentrale Punkt liberaler Ideologie. Labour stimmte zu, dass Protektion nicht die Antwort sei, und schlug ein nationales Arbeitsprogramm vor, um die Erwerbslosen zu beschäftigen,
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