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Sturmsegel

Sturmsegel

Titel: Sturmsegel
Autoren: Corina Bomann
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Menschen, die sich an der hohen Mauer entlangdrückten. Der Geruch, den Anneke bereits am Nachmittag als unangenehm empfunden hatte, war noch immer da, obwohl der Knecht den Pferdekadaver und die Hunde weggeschafft hatte.
    Es kam zuweilen vor, dass sich der Rat zu Nachtzeiten hier einfand, um einen Gefangenen peinlich zu verhören, doch heute schien das nicht der Fall zu sein. Ruhig lag das Gebäude vor ihnen und das Schicksal schenkte ihnen ein angelehntes Tor, dessen Angeln unter der abendlichen Brise nur leise quietschten. Durch dessen Spalt hatten die fünf einen guten Blick auf den Hof.
    In einem der unteren Fenster glomm schwaches Licht. Dort waren gewiss der Henker oder seine Knechte noch wach. Auch zu Nachtzeiten musste nach den Gefangenen gesehen werden.
    »Ich bin nach wie vor sicher, dass es eine dumme Idee ist«, äußerte sich Hinrich zu dem Plan, den Anneke ihnen bei ihrer Rückkehr offenbart hatte.
    »Fällt dir etwas Besseres ein?«, entgegnete Anneke, und als wollte es sie unterstützen, stieß das Huhn ein leises Krächzen aus.
    »Sei still, dummes Ding!«, fuhr Hinrich das Tier an, das daraufhin zusammenzuckte.
    »Lass es in Ruhe!«, zischte Marte ihn daraufhin an.
    »An eurer Stelle würde ich aufhören zu streiten«, wandte Ingmar ein und deutete auf das erleuchtete Fenster. »Gerade ist jemand dort vorbeigegangen. Vielleicht kommt der Henker jetzt nach draußen.«
    »Er hat recht, ich habe es auch gesehen«, entgegnete Sönke und bedeutete den anderen sich zurückzuziehen.
    Eine Weile verharrten sie schweigend, den Blick abwechselnd auf die Gasse und das Tor gerichtet.
    Als nach einigen Momenten niemand nach draußen trat, wandte sich Sönke an Anneke. Er war der Einzige gewesen, der keinen Zweifel an ihrem Plan gehabt hatte.
    »Du wirst den Hühnerkäfig auf den Hof stellen, zur Ablenkung. Wenn der Henkersknecht nachsehen kommt, was los ist, setzen wir ihn außer Gefecht. Bestenfalls trägt er die Schlüssel zu den Zellen bei sich.«
    »Und wenn nicht?«
    »Dann suchen wir sie im Haus. Vielleicht fügt sich alles besser, als wir denken, denn gewiss werden weder der Henker noch seine Knechte damit rechnen, dass jemand Roland Martens befreien will. Nicht, nachdem man ihn so lange hat schmoren lassen.«
    »Und wie soll er auf das Huhn aufmerksam werden?«, wandte Hinrich ein. »Man müsste ihm schon die Flügel nach hinten drehen, damit es schreit.«
    »Das wirst du nicht tun!«, entgegnete Marte sofort.
    »Sei still, sonst werden wir dich in den Hof setzen. Ich bin sicher, dass du noch viel lauter schreien kannst.«
    »Halt die Klappe, Hinrich«, fuhr Sönke ihn an. »Wenn du noch mehr Gezeter machst, gebührt dir die Ehre!«
    Augenblicklich verstummte sein Bruder, worauf der Ältere fortfuhr: »Wir werden einen Stein an den Käfig werfen und damit basta. Klappt das nicht, werden wir uns was anderes einfallen lassen müssen.«
    Anneke, die den Hof des Scharfrichterhauses bereits kannte, nahm den Käfig und stieß die Hofpforte vorsichtig noch ein Stück weiter auf.
    Der Schatten am Fenster, den Ingmar gesehen hatte, tauchte nicht noch einmal auf und auch auf dem Hof ließ sich niemand blicken.
    Sönke und Hinrich schlossen sich ihrer Schwester nach einer Weile an und verbargen sich hinter einem Haufen Brennholz, der sich in der Nähe des Fensters befand. Ingmar und Marte blieben am Tor zurück, um Alarm zu geben, falls jemand kam.
    Während Anneke der Hofmitte zustrebte, die man vom erleuchteten Fenster aus gut sehen konnte, schlug ihr das Herz bis zum Hals.
    Was war, wenn Sönke und Hinrich den Knecht oder den Henker nicht überwältigen konnten? Wenn er Alarm schlug? Noch einmal würden sie gewiss nicht die Gelegenheit haben, ihren Vater zu befreien. Schlimmstenfalls würden sie selbst hier landen.
    Doch bevor ihre Furcht überhandnehmen konnte, rief sie sich selbst zur Ordnung: Du musst deine Unruhe im Zaum halten!
    Nachdem sie den Hühnerkäfig abgestellt hatte, verkroch sie sich ebenfalls in den Schatten. Vom Boden klaubte sie ein paar Steine auf, dann blickte sie zuerst zu Marte, anschließend zu ihren Brüdern.
    Sönke signalisierte ihr, dass sie die Steine werfen sollte.
    Beim ersten Mal flog das Geschoss ellenweit an dem Käfig vorbei und prallte gegen den Wassertrog auf der gegenüberliegenden Seite. Das Geräusch war deutlich zu hören, allerdings lockte es den Kerkerwächter nicht nach draußen.
    Der zweite Wurf saß allerdings.
    Der Stein prallte gegen die Gitterstäbe und die
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