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Sturmbote

Sturmbote

Titel: Sturmbote
Autoren: Tom Lloyd
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schmale Öffnungen im Steinboden ermöglichten den Blick in den unteren Raum. An der Wand hingen elf purpurfarbene Schiefertafeln, zwei Fuß hoch, von Samttüchern verdeckt, auf die eine Biene mit abgespreizten Flügeln und ein Stadtname gestickt waren. Der Schatten ignorierte die vorderen und glitt um den Schreibtisch herum, bis er das Tuch mit dem Namen »Scree« darauf erreicht hatte. Er hob einen langen Finger, der in einer scharfen Kralle endete, und schrieb damit vor der verdeckten Tafel etwas in die Luft. Ein leises Kratzen durchbrach die Stille.
    Der Schatten beendete seine Niederschrift und blickte durch einen Steinschlitz auf das Paar, das in dem großen Bett schlummerte. »Kommt und gesellt euch zu der Vorstellung hinzu, meine Freunde. Ihr spielt eine Hauptrolle«, murmelte er, während er das Tuch leicht beiseiteschob.
    Dann spreizte der Schatten seine unwirklichen Finger wie die Krallen eines Adlers. Als er sie durch die Luft zischen ließ, hallte ein gedämpftes Knacken durch den Raum. Nach vollbrachter Tat zog sich der Schatten auf dem gleichen Weg zurück, auf dem er gekommen war, und hielt dabei kurz am Bett inne, in dem die beiden Gestalten noch immer schliefen, und zwar trotz der Hitze mit ineinander verschlungenen Beinen. Ein unirdischer Finger
streichelte die Wange des Mannes und schwebte dann über einem Augenlid, das leicht zuckte.
    »Und wenn ich dich nun blende, o mächtiger König? Dir die Fähigkeit nähme, dieses Land, das du so liebst, zu sehen? Aber das werde ich nicht. Es gibt noch so viel, das du mitansehen sollst, bevor es endet.«
    Der Schatten glitt zur Tür und hinaus ins Zwielicht des Ganges, verging dann ins Nichts und machte der drückenden Stille des Sommers Platz, die in den Raum zurückkehrte.
     
    König Emin verzog beim Anblick der Tafel das Gesicht, zupfte sein Hemd zurecht und steckte es in seine Beinkleider.
    »Komm wieder ins Bett«, schnurrte Königin Oterness vom Ruhelager aus und streichelte die leichte Wölbung ihres Bauches. Eine scharfäugige alte Herzogin hatte sie bereits bemerkt, und nun gab es plötzlich Vermutungen darüber, dass endlich doch ein Thronerbe unterwegs sein könnte. Das königliche Paar schwieg bisher dazu – sie war noch nicht lange schwanger und die Königin befürchtete, dass ihr Alter für Schwierigkeiten sorgen könnte – doch immerhin hatte diese kleine Wölbung die sonst so wankelmütige Zuneigung ihres Ehemannnes wieder zum Leben erweckt.
    »Bedauerlicherweise ist das nicht möglich«, murmelte Emin. Er starrte die Tafel weiter an, während er nach dem Klingelzug griff, der über dem Schreibtisch hing, und daran zog.
    »Oh, wie reizend«, sagte die Königin leise. »Mein Gatte ist zu beschäftigt, um sich seiner Frau anzunehmen, also ruft er für diese Aufgabe seinen Leibwächter herbei.«
    Emins finsterer Blick ließ die Königin verstummen, sie bedeckte ihren nackten Körper mit den Laken. Für ein Nachthemd war es zu heiß, selbst wenn sie Gesellschaft von Coran bekommen sollten, und sie hatte es zu bequem, um die Kuhle zu verlassen,
in der sie noch einen Augenblick zuvor mit Emin gelegen hatte.
    »Ich bitte um Verzeihung, Emin, du weißt, dass ich das nicht böse gemeint habe. Aber was ist los? So wütend habe ich dich seit Jahren nicht mehr erlebt. Was ist geschehen?«
    Coran riss die Tür auf und kam hereingestürzt, bevor der König seiner Frau antworten konnte. Das Weißauge sah zum Bett und deutete mit einem Kopfnicken eine Verbeugung an, während seine Augen den leinenbedeckten Kurven der Königin folgten. Das Weißauge hatte selbst nicht viel an, hatte sich nur ein langes Hemd übergeworfen, das an der Hüfte vom Schwertgut umschlungen wurde, an dessen Verschluss er noch nestelte.
    Oterness sah auf die bleichen Narben an Corans Knie, während er ihr einen düsteren Blick zuwarf und die Wendeltreppe hinaufeilte. Kaum war er oben angekommen, da wies Emin schon auf die enthüllte Tafel.
    »Ruf die Bruderschaft zusammen. Wir reiten gen Scree.«
    Coran starte schweigend auf die Schieferplatte, bis Emin ihn anwies, wieder hinabzugehen. Das Weißauge hob langsam das Bein und fuhr mit dem Finger über die hässliche Narbe am Knie. Sein Gesicht färbte sich rot vor Wut. Dann folgte er seinem König nach unten.
    Königin Oterness beobachtete die zwei Männer. Bei der Frage, was die beiden so aufwühlte, lief ihr ein Schauder über den Rücken.
    Dann sprach Coran mit vor Hass zitternder Stimme. »Ilumene«, sagte er.
    Oterness wurde
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