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Sturm ueber roten Wassern

Sturm ueber roten Wassern

Titel: Sturm ueber roten Wassern
Autoren: Scott Lynch
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die Hände vor sich gefaltet. Er hatte seinen Tee nicht angerührt. Locke spürte, wie ihm der bittere Geschmack von Galle in die Kehle stieg.
    »Könnten Sie uns das bitte näher erklären?«, fragte er und rang um Fassung. Krell seufzte, wobei sein Mitgefühl seine eigene Verärgerung dämpfte. »Sehen Sie«, begann er, wobei er vorsichtig eines der Gemälde hochhielt, die sie gestohlen hatten. Das Bild zeigte Adlige aus der Ära des Theriner Throns als Zuschauer bei Gladiatorenspielen, und ein tödlich verwundeter Kämpfer zollte ihnen gerade seinen Respekt. »Diese Bilder hat ein großer Künstler gemalt, ein wahrer Meister mit unglaublich viel Geduld und Talent. Es muss hunderte von Stunden gedauert haben, die Kopien herzustellen, und als Vorlage dienten ihm eindeutig die Originale. Offensichtlich wollte der … werte Herr, von dem Sie diese Objekte erstanden, die Originale keinerlei Risiko aussetzen. Ich würde mein Haus mitsamt den Gärten darauf verwetten, dass sie sich in seinem Tresor befinden.«
    »Aber diese … Unstimmigkeiten. Was macht Sie so sicher, dass es welche sind?«
    »Die alten Meister, die vom letzten Herrscherhaus des Theriner Throns protegiert wurden, bedienten sich einer List, um ihre Werke von den Arbeiten der Maler zu unterscheiden, die geringere Mäzene hatten. Dieses Geheimnis wurde erst viele Jahre nach dem Untergang des Kaiserreiches gelüftet. Talathris auserwählte Meister und ihre Gehilfen fügten in ihre Gemälde absichtlich in irgendeine Ecke einen winzigen Fehler ein, indem sie Pinselstriche einarbeiteten, deren Breite und Richtung nicht mit denen ihrer unmittelbaren Umgebung übereinstimmten. Dieser Makel betonte quasi ihre Perfektion. Es ist vergleichbar mit der Vorliebe mancher Vadraner Frauen für Schönheitsflecke.«
    »Und das können Sie auf den ersten Blick erkennen?«
    »Ich weiß, woran ich bin, wenn ich auf keinem dieser zehn Bilder eine Spur dieses typischen Merkmals finde.«
    »Verdammt!«, fluchte Locke.
    »Mir scheint«, meinte Krell, »dass der Künstler, der diese Bilder schuf – oder sein Auftraggeber – die Originalwerke so sehr schätzte, dass er sich weigerte, die versteckten Unterscheidungsmerkmale zu kopieren.«
    »Nun, das ist ja herzerwärmend.«
    »Ich sehe schon, dass Sie weitere Beweise verlangen, Meister Fehrwight, und zum Glück sind die anderen sogar noch deutlicher. Der erste Hinweis ist die Leuchtkraft der Pigmente. Vor vierhundert Jahren war die Alchemie noch nicht weit genug fortgeschritten, um diese brillanten Farben zu erzeugen. Sie müssen erst kürzlich hergestellt worden sein. Der abschließende und eindeutigste Beweis ist das Fehlen von Altersspuren. Keine feinen Risse in der Farbe, keine Verfärbungen durch Schimmel oder Sonnenlicht, keine Einschlüsse von Rauch in der obersten Schicht aus Lackfirnis. Diese Bilder unterscheiden sich von den Originalgemälden wie, sagen wir, mein Gesicht vom Antlitz eines zehn Jahre alten Knaben.« Krell lächelte traurig. »Ich habe einen Zustand der Reife erlangt. Diese Bilder nicht.«
    »Und wie wirkt sich das auf unsere Vereinbarung aus?«
    »Ich bin mir sehr wohl bewusst«, begann Krell, während er das Bild wieder an seinen Platz stellte und sich auf einen Stuhl hinter seinem Schreibtisch setzte, »dass Sie ungeheure Anstrengungen unternommen haben müssen, um selbst diese Kopien von dem … Herrn in Tal Verrar zu bekommen. Ihnen gehört mein Dank und meine Bewunderung.«
    Jean stieß ein Schnauben aus und starrte auf die Wand.
    »Ihr Dank und Ihre Bewunderung mögen ja gut gemeint sein …«, erwiderte Locke.
    »Aber sie sind kein legales Zahlungsmittel«, ergänzte Krell. »Ich bin nicht einfältig, Meister Fehrwight. Für diese zehn Bilder kann ich Ihnen immer noch zweitausend Solari anbieten.«
    »Zwei?« Locke umklammerte die Armstützen seines Stuhls und beugte sich vor. »Die Summe, auf die wir uns ursprünglich geeinigt hatten, betrug fünfzigtausend Solari, Meister Krell!«
    »Und für die Originale«, betonte Krell, »hätte ich gerne diesen Betrag bezahlt; für echte Kunstwerke aus der Epoche der Letzten Blüte hätte ich in entfernten Gegenden Käufer gefunden, die sich keinen Deut darum geschert hätten, wie … verschnupft dieser Herr in Tal Verrar sein mag.«
    »Zwei«, murrte Locke. »Götter, wir haben mehr Geld auf unserem Konto im Sündenturm zurückgelassen. Sie bieten uns zweitausend Solari für zwei Jahre harter Arbeit.«
    »Nein.« Krell legte seine dürren Finger
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