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Sturm ueber roten Wassern

Sturm ueber roten Wassern

Titel: Sturm ueber roten Wassern
Autoren: Scott Lynch
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der Hafenmeister und nahm mit einer Verbeugung den schweren Beutel entgegen. Fast achthundert Solari waren damit bereits weg.
    »Und der Proviant?«, fragte Locke.
    »Alles komplett nach Ihren Wünschen. Rationen und Trinkwasser für eine Woche.
    Wein, Ölzeug und eine Notausrüstung – alles vorhanden und von mir persönlich überprüft .«
    »Unser Abendessen?«
    »Wird geliefert«, versicherte der Hafenmeister, »wird gleich geliefert. Ein Kurier hätte schon vor ein paar Minuten eintreffen müssen. Warten Sie – da ist der Junge ja.«
    Locke warf einen Blick in Richtung ihrer Kutsche. Dahinter war soeben ein kleiner Junge aufgetaucht, der im Laufschritt einen zugedeckten Korb in den Armen hielt, der breiter war als seine Brust. Locke lächelte.
    »Mit dem Abendessen wäre unser Geschäft dann abgeschlossen«, verkündete er, als der Junge zu ihnen kam und den Korb zu Jean hochreichte.
    »Sehr gut, Meister Fehrwight. Sagen Sie, werden Sie sofort ablegen?«
    »Wir stechen unverzüglich in See. Wir müssen eine ganze Menge … hinter uns lassen.«
    »Benötigen Sie Hilfe?«
    »Ursprünglich wären wir zu dritt gewesen«, entgegnete Locke leise. »Aber wir beide kommen schon klar.« Er betrachtete ihr neues Boot und die ihm früher so fremd erscheinende Anordnung von Segeln, Takelage, Mast und Pinne. »Wir beide kommen immer zurecht.«
    Es dauerte keine fünf Minuten, um das Boot mit ihrem Gepäck aus der Kutsche zu beladen; sie hatten kaum etwas mitgebracht. Ein paar Anziehsachen zum Wechseln, Arbeitskleidung, Waffen und ihr Einbrecherwerkzeug.
    Die Sonne wanderte bereits nach Westen, als Jean anfing, die Leinen loszumachen.
    Locke hüpfte hinunter auf das Achterdeck, ein zimmergroßer Raum, umgeben von erhöhten Schandecks. Als letzte Handlung, bevor sie lossegelten, öffnete er den Leinensack und ließ seinen Inhalt frei.
    Das schwarze Kätzchen blickte zu ihm hoch, streckte sich und fing an, sich laut schnurrend an Lockes rechtem Stiefel zu reiben.
    »Willkommen in deinem neuen Heim, Kätzchen. Alles, was du hier siehst, gehört dir«, sagte Locke. »Aber das heißt natürlich nicht, dass ich dich lieb gewinnen werde.«

4
     
     
    Sie ankerten hundert Yards hinter dem letzten von Vel Virazzos Leuchttürmen, und im Schein seines rubinroten Lichts verspeisten sie das Abendessen, das Locke versprochen hatte.
    Im Schneidersitz hockten sie auf dem Achterdeck, zwischen sich ein kleines Tischchen.
    Jeder tat so, als konzentriere er sich voll und ganz auf das Brot und das Hühnchen, die Haifischflossen und den Essig, die Weintrauben und schwarzen Oliven. Prächtig führte mehrere Angriffe gegen ihre Mahlzeit und war erst bereit, Frieden zu schließen, nachdem Locke ihn mit einem Hühnchenflügel bestochen hatte, der fast so groß war wie sein schwarzer, pelziger Körper.
    Sie tranken eine Flasche Wein, einen mittelmäßigen weißen Camorri von der Sorte, die eine Mahlzeit bereichert, ohne gleich das Glanzlicht zu werden. Locke warf die leere Flasche ins Wasser, und sie öffneten sofort die nächste, die sie jedoch langsamer genossen.
    »Es wird Zeit«, meinte Jean schließlich, als die Sonne so tief im Westen stand, dass es aussah, als versinke sie im Schandeck an der Steuerbordseite. Es war ein roter Moment, die ganze Welt vom Wasser bis zum Himmel hatte die Farbe eines sich verdunkelnden Rosenblattes angenommen, oder die eines Blutstropfens, der noch nicht trocken ist.
    Das Meer war ruhig, kein Lufthauch regte sich; sie waren völlig frei – keine Störungen, keine Pflichten, keine Pläne und keine Abmachungen. In diesem Augenblick waren sie wie losgelöst vom Rest der Welt.
    Locke seufzte, holte eine Glasphiole mit einer durchsichtigen Flüssigkeit aus der Innentasche seines Rocks und stellte sie auf den Tisch.
    »Wir hatten überlegt, ob wir uns die Dosis teilen sollen«, sagte er.
    »Richtig«, erwiderte Jean. »Aber wir werden es nicht tun.« »Ach ja?«
    »Du wirst das Zeug trinken.« Jean legte beide Hände flach auf den Tisch. »Alles.«
    »Nein«, widersprach Locke.
    »Du hast gar keine Wahl.«
    »Zur Hölle, wofür hältst du dich eigentlich?«
    »Wir können nicht das Risiko eingehen, die Ration zu teilen«, legte Jean in einem sachlichen, ruhigen Tonfall dar, der Locke verriet, dass er bereit war, jeden Moment aufzuspringen und zu kämpfen. »Es ist besser, wenn einer von uns für immer geheilt wird, als dass wir beide uns noch eine Weile weiterquälen und dann doch sterben.«
    »Ich quäle mich gern
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