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Sturm ueber roten Wassern

Sturm ueber roten Wassern

Titel: Sturm ueber roten Wassern
Autoren: Scott Lynch
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Belohnung ein Herzogtum versprochen hätte. Und kein Spieler konnte das Karussell manipulieren, sich nur die Fläschchen zuteilen lassen, die einen vergleichsweise geringen Alkoholgehalt hatten, oder seine Gegenspieler mit den hochprozentigen Drinks versorgen. Da hier die üblichen Methoden, einem Mitspieler irgendeine schädliche Substanz zuzuführen, nicht griffen, blieb als einzige Möglichkeit, seine Gegner dazu zu bringen, freiwillig und ganz allmählich irgendein raffiniertes und sehr seltenes Gift einzunehmen. Und zwar so, dass selbst ein Paranoiker keinen Verdacht schöpfte.
    Zum Beispiel, indem Locke und Jean minimale Dosen eines Narkotikums in Pulverform auf die Spielkarten verteilten, die nach und nach um den gesamten Tisch wanderten, bis sie irgendwann einmal an eine Frau gelangten, die beim Spiel unentwegt an ihren Fingern lutschte.
    Bela paranella war ein farbloses, geschmacksneutrales, alchemisches Pulver, auch als »Freundin der Nacht« bekannt. Reiche Leute mit nervöser Disposition griffen gern darauf zurück, um sich einen tiefen, friedvollen Schlaf zu verschaffen. Zusammen mit Alkohol eingenommen, verstärkte sich die Wirkung von bela paranella auf geradezu dramatische Weise, wobei schon winzige Mengen genügten, um einen Vollrausch hervorzurufen; diese beiden Substanzen vertrugen sich miteinander wie Feuer und trockenes Pergament. Diesen Stoff für kriminelle Zwecke zu benutzen wäre gang und gäbe gewesen, hätte er nicht ein Vermögen gekostet; der Preis lag beim zwanzigfachen seines Gewichts in Weißem Eisen.
    »Bei den Göttern, diese Frau hat eine Konstitution wie eine Kriegsgaleere«, staunte Locke. »Schon bei der dritten oder vierten Runde muss sie etwas von dem Pulver abgekriegt haben … vermutlich kann man ein paar brünstige Eber mit weniger außer Gefecht setzen.«
    »Auf jeden Fall haben wir erreicht, was wir wollten«, bemerkte Jean und zog sein eigenes bela paranella-Kissen unter dem Revers hervor. Er betrachtete es flüchtig, dann verstaute er es achselzuckend in einer Tasche.
    »Allerdings … und ich habe ihn gesehen!«, trumpfte Locke auf. »Requin. Er stand auf der Treppe und hat uns ein paar Runden lang beobachtet. Ganz offensichtlich interessiert er sich für uns.« Diese Überlegung trug dazu bei, Lockes vom Alkohol umnebelten Geist ein wenig zu klären. »Immerhin schickte er Selendri, um uns auf die Schulter zu klopfen.«
    »Nun ja, angenommen, du hast recht und wir haben tatsächlich sein persönliches Interesse geweckt. Was kommt jetzt? Willst du so weitermachen wie bisher, oder möchtest du die Dinge nicht doch lieber langsam angehen? Vielleicht noch ein paar Wochen lang auf der fünften und sechsten Etage spielen?«
    »Noch ein paar Wochen lang? Blödsinn! Seit zwei Jahren treiben wir uns in dieser Stadt herum und bemühen uns, einen Fuß in die Tür zu kriegen. Nun, da wir Requin endlich aus der Reserve gelockt haben, sollten wir auf gar keinen Fall zögern, sondern gleich loslegen.«
    »Du schlägst vor, ihn schon morgen Abend zu konfrontieren, oder?« »Er ist neugierig. Wir müssen das Eisen schmieden, solange es heiß ist.« »Ich denke, der Alkohol macht dich impulsiv.«
    »Vom Alkohol werde ich besoffen. Impulsiv gemacht haben mich die Götter.« »Heh, Sie da!«, rief jemand vor ihnen auf der Straße. »Bleiben Sie stehen!« Locke erstarrte. »Wie bitte?«
    Ein junger, abgehetzt aussehender Verrari mit langen, schwarzen Haaren hielt Locke und Jean die Hände entgegen. Neben ihm hatte sich eine kleine Gruppe gut gekleideter Leute versammelt, und dann merkte Locke, dass die Gesellschaft am Rand einer gepflegten Rasenfläche stand, die als Duellplatz diente.
    »Gehen Sie bitte nicht weiter, meine Herren«, sagte der junge Mann drängend. »Ich fürchte, hier findet ein Ehrenhändel statt, und Sie könnten in die Schussrichtung eines Pfeils gelangen. Dürfte ich Sie wohl bitten, ein Weilchen zu warten?«
    »Oh. Oh.« Locke und Jean entspannten sich. Wenn ein Duell mit Armbrüsten stattfand, dann war es nicht nur höflich, sondern auch vernünftig, stehen zu bleiben und sich aus der Schusslinie zu halten, bis die Duellanten ihren Händel ausgetragen hatten. Auf diese Weise wurde keiner der Kämpfenden durch eine Bewegung im Hintergrund abgelenkt, und kein Passant kam versehentlich zu Schaden.
    Der Duellplatz war ungefähr vierzig Yards lang und zwanzig breit; an jeder der vier Ecken hingen in schwarzen eisernen Rahmen Laternen, die ein sanftes, weißes Licht
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