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Sturm ueber roten Wassern

Sturm ueber roten Wassern

Titel: Sturm ueber roten Wassern
Autoren: Scott Lynch
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verbreiteten. Mitten auf dem Rasen standen die beiden Duellanten mit ihren Sekundanten, und jeder Mann warf vier blassgraue Schatten, die sich zu geometrischen Mustern überkreuzten. Locke selbst hatte keine große Lust, sich das Duell anzusehen, aber er sagte sich, dass er Leocanto Kosta verkörperte, einen Mann, dem es völlig gleichgültig war, ob sich Leute gegenseitig Löcher in den Leib schossen.
    Er und Jean mischten sich so unauffällig wie möglich unter die Gruppe der Zuschauer; eine ähnliche Schar hatte sich auf der anderen Seite des Platzes postiert.
    Einer der Duellanten war ein sehr junger Mann, gekleidet in elegante, locker sitzende Sachen, die der neuesten Mode entsprachen; er trug Augengläser, und seine Haare fielen ihm in gepflegten Ringellocken bis auf die Schultern.
    Sein Gegner, der einen roten Rock anhatte, war wesentlich älter, hatte eine leicht vornübergebeugte Haltung und wind-und wettergegerbte Züge. Doch er wirkte rüstig und entschlossen genug, um eine ernsthafte Bedrohung darzustellen. Beide Männer hielten leichte Armbrüste in den Händen – Waffen, wie die Diebe in Camorr sie auf der Straße trugen.
    »Meine Herren«, verkündete der Sekundant des jüngeren Duellanten. »Bitte. Können Sie sich nicht gütlich einigen?«
    »Wenn der Herr aus Lashani seine Beleidigung zurücknimmt«, fügte der junge Duellant mit hoher, nervöser Stimme hinzu, »wäre ich bereit, auf Satisfaktion zu verzichten. Er brauchte nur anzudeuten, dass …«
    »Auf gar keinen Fall!« schnitt der Mann, der neben dem älteren Duellanten stand, ihm das Wort ab. »Seine Lordschaft pflegt sich nicht für Worte zu entschuldigen, mit denen er lediglich Tatsachen festgestellt hat.«
    »… brauchte nur anzudeuten«, fuhr der junge Duellant verzweifelt fort, »dass es sich bei der Angelegenheit lediglich um ein Missverständnis handelt, und …«
    »Sollte Seine Lordschaft sich noch einmal dazu herablassen, das Wort an Sie zu richten«, unterbrach der Sekundant des älteren Mannes den jungen Burschen erneut, »dann würde er zweifelsohne bemerken, dass Sie winseln wie ein geprügelter Hund, und Sie fragen, ob Sie überhaupt in der Lage sind, zu beißen.«
    Einige Augenblicke lang stand der junge Duellant sprachlos da, dann vollführte er mit der freien Hand eine rüde Geste gegen den älteren Mann.
    »Zu meinem größten Bedauern sehe ich mich gezwungen«, warf sein Sekundant ein, »… äh … ich sehe mich gezwungen zuzugeben, dass es keine gütliche Einigung geben kann. Mögen die Herren bitte Aufstellung nehmen … Rücken an Rücken.« Die beiden Gegner schritten aufeinander zu – der ältere Mann marschierte zügig aus, während der jüngere zu zögern schien – und kehrten einander den Rücken zu. »Jeder von Ihnen geht zehn Schritt geradeaus«, ordnete der Sekundant des jungen Burschen mit erbitterter Resignation an. »Dann bleiben Sie stehen. Auf meinen Zuruf hin dürfen Sie sich umdrehen und schießen.«
    Langsam zählte er die Schritte ab; langsam entfernten sich die beiden Gegner voneinander. Der junge Mann schlotterte tatsächlich am ganzen Leib. Locke spürte, wie sich sein Magen verkrampfte, ein Gefühl, das ihm normalerweise fremd war. Seit wann war er so verdammt weichherzig? Nur weil er sich dieses Schauspiel am liebsten erspart hätte, hieß das noch lange nicht, dass er sich fürchtete hinzusehen … doch das Gefühl in seinem Bauch ließ sich von seinen rationalen Überlegungen nicht beeinflussen.
    »… neun … zehn. Stehen bleiben«, befahl der Sekundant des jungen Mannes. »Stehen bleiben … Umdrehen und schießen!«
    Der junge Bursche wirbelte als Erster herum, die nackte Angst stand ihm ins Gesicht geschrieben; seine rechte Hand schnellte vor, und er drückte auf den Abzug. Ein scharfes, sirrendes Geräusch ertönte. Sein Gegner zuckte nicht einmal zusammen, als der Bolzen neben seinem Kopf durch die Luft zischte und ihn mindestens um eine Handbreit verfehlte.
    Der alte Mann in dem roten Rock machte seine Kehrtwendung wesentlich ruhiger; seine Augen glänzten, und der Mund war zu einem finsteren Lächeln verzogen. Sein jüngerer Gegner starrte ihn ein paar Sekunden lang an, als wolle er seinen Bolzen mittels Willenskraft zu sich zurückrufen wie einen dressierten Vogel. Er erschauerte, senkte seine Armbrust und warf sie dann auf den Rasen. Die Hände in die Hüften gestemmt, stand er abwartend da und schnappte mit tiefen, geräuschvollen Atemzügen nach Luft.
    Sein Gegner fasste ihn
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