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Sturm über Freistatt

Titel: Sturm über Freistatt
Autoren: Robert Asprin
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ein klumpfüßiges Bettelkind gewesen, das halb verhungert auf einem Abfallhaufen in Abwind gesessen und stumpfsinnig ein Stück Metall an einem Pflasterstein gewetzt hatte. Ohne lange zu überlegen, hatte Harran sie zu sich genommen. Er wußte nicht so recht, was er mit ihr tun sollte, aber es stellte sich heraus, daß es keine schlechte Entscheidung gewesen war. Sie hatte jetzt zwar offenbar keinen Verstand – falls sie je einen gehabt hatte –, aber sie war recht geschickt mit den Händen. Sie führte jede Arbeit so lange aus, bis sie davon abgehalten wurde. Selbst im Schlaf bewegten sich ihre ruhelosen Hände unentwegt. Nie mußte man ihr etwas öfter als einmal zeigen. Besonders gut konnte sie mit Klingen umgehen. Die Stiefsöhne brachten ihre Schwerter zum Schärfen zu ihr, alle, ohne Ausnahme. Und Tyr himmelte sie an – daraus ließ sich allerhand schließen, denn die Hündin mochte nicht jeden. Dadurch, daß Mriga lahm und häßlich war, würde sie ihm wohl nicht so leicht jemand ausspannen, und auch daß sie von selbst ging, war nicht anzunehmen. Und daß sie nicht sprechen konnte, nun, erachtete man eine stumme Frau nicht als Wunder?
    Da Harran nicht genug Geld hatte, sich häufig eine Dirne zu leisten, bot Mrigas Anwesenheit auch noch andere Vorteile. Er hatte seine Bedürfnisse, die zu befriedigen er – mit einer Art inneren Taubheit – Mriga benutzte. In bestimmten Stimmungen war ihm durchaus bewußt, daß es unschön war, was er da immer und immer wieder tat, und er zweifelte auch nicht, daß er eines Tages dafür würde bezahlen müssen. Doch damit brauchte er sich nicht jetzt zu befassen. Die Strafe dafür war genau wie die Ewigkeit weit entfernt von der unerfreulichen Gegenwart hier in Freistatt. Und ein Mann, den es juckte, mußte sich kratzen. Harran kratzte sich bei diesem Jucken, wann immer ihm danach war, und den Rest seiner Zeit verbrachte er mit der Behandlung der Stiefsöhne und seiner Arbeit an dem Zauber.
    Er hätte die Hand gern ein paar Tage in ein Kästchen mit Zahnflügelkäfern gelegt – diese fleißigen kleinen Scheusale hätten die Knochen auch von den allerletzten Fleischresten befreit und obendrein das Mark gefressen. Aber Zahnflügelkäfer und saubere Tempelwerkräume waren wie vieles andere nun unerreichbar für ihn. Harran mußte sich damit zufriedengeben, die Knochen eine Woche in einen Behälter mit Ätzkalk zu legen und dann einen Nachmittag lang in Naphta, um den Gestank und das Mark loszuwerden. Tyr kläffte und tanzte aufgeregt um Harran herum, während er vorsichtig mit dem Topf hantierte. »Das ist nichts für dich, Süße«, sagte er abwesend. Er fischte die Fingerknöchelchen heraus und legte sie zum Abkühlen auf einen alten gesprungenen Teller. »Du würdest daran ganz sicher ersticken. Geh weg.«
    Tyr schaute noch einen Augenblick hoffnungsvoll hoch, aber nichts tat sich, und dann sah sie eine Ratte über den Hof huschen und stürzte hinaus, um sie zu fangen.
    Die Alraunwurzel zu finden erwies sich als keine einfache Sache. Die wirkungsvollste Art wuchs auf dem Grab eines Bösewichts, der gehängt worden war. Nun mangelte es Freistatt zwar keineswegs an Bösewichten, das Problem war, daß sie sich lebend leichter erkennen ließen als tot und begraben. So besuchte Harran seinen alten Kameraden Grian im Leichenhaus und erkundigte sich beiläufig nach den letzten Gehenkten.
    »Ah, du brauchst Leichen«, sagte Grian mit mildem Abscheu. Er steckte bis zu den Ellbogen in der Brusthöhle einer Wasserleiche. »Wir wissen schon nicht mehr, wohin damit. Und die shalpaverfluchten Meuchler brüsten sich auch noch mit ihren Untaten. Schau dir diesen armen Burschen an. Ein paar Steine an die Füße und in den Schimmelfohlenfluß mit ihm! Hat der Halunke, der ihn hineingeworfen hat, denn nicht gewußt, daß drei, vier Pflastersteine ihn nicht unten halten, wenn die Verwesung einsetzt, Blasen hochsteigen und er anschwillt? Man könnte meinen, sie wollten, daß die Leiche gefunden wird. Es sind diese verdammten Vobfs, ganz bestimmt. Öffentliches Ärgernis, sag’ ich. Die Stadt sollte was gegen sie unternehmen.«
    Harran nickte und kämpfte gegen seinen rebellierenden Magen an. Grian hatte den Sivenipriestern für den Anatomieunterricht so manche in finsteren Gassen aufgefundene Leichen beschafft, damals, in der weiß-goldenen Zeit – er war höchstwahrscheinlich der einzige in Freistatt, der wußte, was Harran gewesen war, ehe er sich als Barbier verdingen mußte.
    Grian
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