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Sturm über Freistatt

Titel: Sturm über Freistatt
Autoren: Robert Asprin
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vereinzelte Gerüchte über die Volksfront aufgetaucht – vage Behauptungen von einem Mord da und einem Raub dort, begangen für die gute Sache, nämlich, die Besatzer, und zwar alle, loszuwerden. Dann war die VFBF aktiver geworden und hatte zugeschlagen, wo immer sie Soldaten und Priester als Unterdrücker sah. Die Pseudostiefsöhne haßten die VFBF wie die Pest – nicht nur, weil die Partisanen mit ihren Überfällen auf sie gewöhnlich recht erfolgreich gewesen waren; sondern aus dem verständlichen Grund (der jedoch nicht an die Öffentlichkeit dringen sollte), daß die gegenwärtigen »Stiefsöhne« gebürtige Freistätter waren und sich keineswegs als Unterdrücker sahen. Tatsächlich gab es unter ihnen sogar manche, die mit der VFBF sympathisierten, ja sie heimlich unterstützten.
    Oder vielmehr, es hatte welche gegeben, bis die Vobfs Säure in ihre Weinkrüge geschmuggelt, Scharfschützen auf die benachbarten Dächer postiert und Straßenbengeln beigebracht hatten, Steine auf Hände zu schleudern, die zur Essenszeit keine Waffen hielten.
    Harran war Anhänger der Ziele der VFBF, obwohl er das niemanden vermuten ließ. Verdammte Rankaner, dachte er jetzt, mit ihren hochmütigen neuen Göttern, ihren plötzlich auftauchenden und verschwindenden Tempeln, und Blitzen aus heiterem Himmel. Und dann diese verfluchten Fischäugigen mit ihren Schlangen. Elende, ungebetene Muttergöttin in ihren Vögel- und Blumenpersonifikationen. O Siveni! Einen Augenblick ballte er die Fäuste, er zitterte und seine Augen brannten. Ihr Bild erfüllte ihn … Die helläugige Siveni, die Speerträgerin, die Verteidigerin, die Göttin mitternächtlicher Weisheit und tödlicher Wahrheit. Ils’ ungestüme Tochter, der er keinen Wunsch abschlagen konnte. Wildfang mit den feurigen Augen, stürmisch, schön und weise – und verloren. O meine geliebte Göttin, komm! Komm und schaff wieder Ordnung! Hol dir zurück, was rechtens dein ist …
    Der Augenblick verging, und die alte Hoffnungslosigkeit machte sich wieder breit. Harran stieß den Atem aus und blickte hinunter zu Tyr, die plötzlich den Kopf unter seiner Hand gehoben hatte und zum Fenster starrte.
    Ein Rabe saß dort. Harran blinzelte. Rasch grub er die Hand in das dichte Fell am Hals, um zu unterbinden, daß Tyr ihn verjagte, denn der Rabe war Sivenis Vogel: ihr alter Bote, silberweiß einst, doch vor langer Zeit von ihr, in einem Wutanfall – weil sie ihn beim Lügen ertappt hatte – zu schwarzem Gefieder verdammt. Der schwarze Vogel blickte sie mit schiefgelegtem Kopf aus einem klugen schwarzen Auge an, dann schaute er auf die Hand in der Schale und sprach.
    »Jetzt!« sagte er.
    Tyr knurrte.
    »Nein«, flüsterte Harran. Der Rabe drehte sich um, breitete die Flügel aus und flatterte davon. Tyr entriß sich Harrans Griff, drehte sich vor Aufregung in einem engen Kreis, dann schoß sie zur Tür hinaus und über den Hof zu den Stallungen und kläffte hinter dem verschwindenden Vogel her.
    Harran war so benommen, daß ihm das Denken schwerfiel. Hat er gesprochen? Oder habe ich es mir bloß eingebildet? Einen Augenblick hielt er letzteres für wahrscheinlich. Er lehnte sich gegen den Tisch, schwach plötzlich; und verärgert über seine Dummheit. Vermutlich war es einer der alten, dressierten Vögel aus Sivenis Tempel, der irgendwie überlebt hatte …
    Aber ausgerechnet an meinem Fenster? In diesem Augenblick? Und ausgerechnet dieses Wort sagte er?
    Und da lag noch immer die Hand …
    Das Bild Iriks, des Meisterpriesters mit den lächelnden Augen, kam ihm in den Sinn. Der blonde, doch schon leicht ergrauende Irik in seinen weißen Gewändern lehnte sich mit Harran und einigen anderen über einen hellgrauen Marmortisch im Studiengemach und zog mit seinem dünnen braunen Zeigefinger eine Linie auf einer zerfransten Leinenschriftrolle nach. »Auch dieser Zauber ist alt«, sagte Irik. »Die Heimholung von Verlorenem. Ihr könnt ihn nur bei soeben Dahingeschiedenen anwenden – bei jemandem, der noch nicht länger als zwanzig Atemzüge tot ist. Er wirkt immer – aber die Ingredienzen sind solcherart, wie man sie nur selten zur Hand hat.« Die Novizen lachten. Irik liebte es, kleine Scherze zu machen. »Dieser Zauber hat noch weitere Anwendungsmöglichkeiten. Da man damit alles, was verlorenging, zurückholen kann – einschließlich Zeit, die der Tote verliert –, kann man damit ruhelosen Geistern den Frieden geben, doch gewöhnlich muß man sie erst mal zurückrufen. Und da er
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