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Sturm über Freistatt

Titel: Sturm über Freistatt
Autoren: Robert Asprin
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konnten. Der lediglich tüchtige Priester wirkte Zauber genau nach dem Buch, er wog die Zutaten sorgfältig ab, achtete darauf, die vorgeschriebenen zu nehmen und sie nicht durch andere zu ersetzen, damit nicht versehentlich ein Dämon beschworen wurde.
    Sivenis Priester hatten auf diese zweite Methode verächtlich herabgeblickt; sie führte zum erwarteten Ergebnis, doch ihr fehlte die Eleganz. Harran war Eleganz völlig gleichgültig. Er war nie über die genaue Befolgung von ›Rezepten‹ hinausgekommen – tatsächlich hatte er sich bereits überlegt, daß es wahrscheinlich das Klügste für ihn wäre, sich mit den rein natürlichen Künsten Sivenis zu begnügen: denen der Chirurgie, des Heilens und der Herstellung von Heilmitteln. Als er gerade an diesem Punkt seiner Überlegungen angelangt war, hatten sich die Rankaner eingefunden, und alsbald waren viele Tempel geschlossen worden, und für Priester, außer jenen der mächtigsten Götter, war eine unsichere Zeit angebrochen. Darum hatte sich Harran auch das erstemal, seit seine Eltern ihn mit neun Jahren an Sivenis Tempel verkauften, nach einer Stellung außerhalb des Tempels umgesehen. Und er hatte die erste angenommen, die man ihm anbot, als Feldscher und Barbier der Stiefsöhne.
    Die Erinnerung ließ den schmerzlichen Verlust seiner alten Stellung erneut aufflammen. Er war dabeigewesen, als Irik, der alte Meisterpriester, mit zitternden Händen das Edikt entgegengenommen hatte, das ihm Molin Fackelhalter mit dem harten Gesicht übergab, während die Reichsgardisten mit gelangweilter Feindseligkeit zugesehen hatten. Dann wurden überstürzt die heiligen Gefäße gepackt, und die weniger wertvollen in den Geheimkammern unter dem Tempel versteckt, und die Priester flüchteten ins Exil …
    Gedankenversunken starrte Harran auf die blutverkrustete Hand in der Schale auf dem Tisch neben ihm, während Tyr ihm die Finger ableckte und stupsend um mehr Aufmerksamkeit bettelte. Warum haben sie das getan? Siveni ist doch nur in zweiter Linie Kriegsgöttin. Hauptsächlich war – ist – sie Göttin der Weisheit und Erleuchtung, viel mehr eine Heilerin als eine, die Leben nimmt!
    Was nicht hieß, daß sie nicht auch töten konnte, wenn ihr danach war …
    Harran bezweifelte, daß die Priester Vashankas und die anderen sich deshalb ernsthaft Sorgen machten. Aber aus Sicherheitsgründen hatten sie die Priester Sivenis sowie die vieler ›niedrigerer‹ Götter verbannt und den Ilsigern nur Ils und Shipri gelassen und die großen Namen des Pantheons, den selbst die Rankaner aus Angst vor einer Rebellion den Freistättern nicht zu nehmen wagten.
    Harran starrte auf die abgeschnittene Hand. Er könnte es schaffen! Nie zuvor hatte er es in Erwägung gezogen – zumindest nicht ernsthaft. Eine lange Zeit schon hielt er seine gegenwärtige Stellung, weil er gebraucht wurde – als tüchtiger Barbier und Feldscher – und weil er keine unliebsame Aufmerksamkeit auf sich zog und Fragen über seine Herkunft unauffällig auswich. Er verbrannte auch nicht offen Räucherwerk, besuchte keine Tempel, fluchte weder im Namen eines rankanischen noch ilsiger Gottes und rollte die Augen, wenn seine Kunden und Patienten es taten. Sein Lieblingswort war ›Idioten‹ für die Gottesanbeter, und er machte sich offen lustig über sie. Er soff und hurte mit den Stiefsöhnen. Seine Verbitterung machte es ihm leicht, grausam zu wirken. Tatsächlich hatte er unter den Stiefsöhnen den Ruf, gefühllos zu sein. Das war ihm ganz recht so.
    Und dann, vor einiger Zeit hatte es plötzlich eine Veränderung in der Stiefsohnkaserne gegeben. Mit einem Mal verschwanden all die vertrauten Gesichter, und neue, rasch rekrutierte Pseudostiefsöhne, nahmen ihren Platz ein. Daraufhin war Harran unentbehrlich geworden – erstens kannte er sich mit den Gewohnheiten der echten Stiefsöhne aus (im Gegensatz zu ihren Nachfolgern hier); und zweitens waren diese Neuen entsetzlich ungeschickt und kamen laufend mit irgendwelchen Verletzungen angerannt. Harran konnte es kaum erwarten, daß die echten Stiefsöhne zurückkamen und wieder für Ordnung in der Kaserne sorgten. Das würde ein Spaß werden!
    Im Augenblick jedoch lag die Hand in der Schale auf dem Tisch. Hände hatten zwar keine Augen, aber diese da starrte ihn an.
    »Vobfs«, hatte Lafen gesagt. Ein fast noch freundlicher Name, den die Stiefsöhne den Angehörigen der VFBF, der Volksfront für die Befreiung Freistatts, gegeben hatten. Zunächst waren nur
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