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Sturm: Roman (German Edition)

Sturm: Roman (German Edition)

Titel: Sturm: Roman (German Edition)
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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denken, dadurch würden sie am Leben teilhaben. In Wirklichkeit verlieren sie es.«
    Dirk erstarrte. Wo war er bloß hingeraten?
    »Der Flur ist viel zu eng«, fuhr die Massige mit ihrer rauchigen Stimme fort, »erinnert mich verteufelt an eine schmale Schlucht in meiner Heimat. Die wurde immer enger und enger – und dann stand mir da plötzlich dieser Elefantenbulle gegenüber, halb eingeklemmt, mit einem abgebrochenen Stoßzahn und einem Funkeln in den Augen, das ich nie vergessen werde … Ja« – sie stieß einen tiefen Seufzer aus – »im Land der Tausend Hügel erlebt man schon die verrücktesten Sachen.«
    »Land der Tausend Hügel?« Dirk blinzelte fassungslos. Es war ebenfalls dunkel gewesen, als er im Land der Tausend Hügel gewesen war, ein fürchterliches Unwetter hatte geherrscht, und nicht weit entfernt von ihm hatte Akuyi gestanden. Aber es war ein Traum gewesen, sein ganz persönlicher Traum, von dem er niemandem erzählt hatte. Wie kam diese Dicke dazu, einen Begriff zu benutzen, den er selbst nur aus dem vielleicht wichtigsten Traum seines Lebens kannte?
    »Im Land der Tausend Hügel entspringt der Nil … und die Leidenschaft«, antwortete die Dicke mitten in seine sich überschlagenden Gedanken hinein. »Du weißt doch, dass dort die leidenschaftlichsten Menschen herkommen?«
    »Nein, das weiß ich nicht, und es ist mir auch egal.« Dirk schrie fast. »Aber ich will wissen, was es mit diesem Tausendhügelland auf sich hat.«
    »Nicht Tausendhügelland – Land der Tausend Hügel«, korrigierte ihn die Dicke. »Das ist eine Gegend mitten im Herzen von Afrika, Schätzchen. Irgendein verrückter Franzose hat sie vor einer Ewigkeit so genannt. Aber ich wüsste nicht, warum dich das interessieren sollte, Schätzchen.«
    Interessieren sollte? Diese Formulierung war ja wohl völlig daneben. Irgendetwas in Dirk hatte klick gemacht, als er die Bezeichnung Land der Tausend Hügel gehört hatte. Tief in ihm war etwas, das darauf ansprang wie ein Pitbull auf eine Katze, die ihm direkt vor die Schnauze lief. Hügel, es waren immer wieder Hügel gewesen. Seine beiden Frauen, wie er Kinah und Akuyi scherzhaft nannte, hatten eine Leidenschaft für eine zwar hügelige, aber nicht bergige Landschaft. Einmal hatten sie alle einen Ausflug in die Eifel gemacht, und Akuyi hatte irgendetwas gefunden, das wie ein vor Ewigkeiten behauener Faustkeil ausgesehen hatte. Sie war nicht mehr zu halten gewesen, in einen schmalen Spalt hinabgesprungen und davongerannt. Er und Kinah waren ihr gefolgt, hatten nach ihr gerufen, aber sie war verschwunden, mindestens eine halbe Stunde lang … Ziemlich lang für eine Achtjährige, lang genug, dass er bereits voller Panik sein Handy gezückt hatte, um Hilfe zu rufen.
    Als Akuyi dann wieder aufgetaucht war, vor Dreck starrend und mit eingerissener Kleidung, aber einem glücklichen Lächeln im Gesicht, hatte er an sich halten müssen, um sie nicht anzuschreien. Kinah war viel ruhiger gewesen, wenn auch nur äußerlich. Sie hatte sich zu Akuyi hinuntergebeugt, um die zwei, drei behauenen Steine zu begutachten, die ihre Tochter irgendwo aufgetrieben hatte – und den Knochen, der ebenfalls Bearbeitungsspuren frühzeitlicher Menschen aufgewiesen hatte. Dann hatte sie Akuyi auf die Stirn geküsst, als hätte sie ihr Kind schon seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen und mit dem Schlimmsten gerechnet.
    Trotzdem hatte sie geduldig zugehört, während ihr Akuyi aufgeregt von der Höhle erzählt hatte, deren Zugang so schmal war, dass sie sich nur mit Mühe hatte durchzwängen können. An das folgende Wortgefecht konnte sich Dirk nicht mehr genau erinnern. Sehr wohl aber daran, was Kinah gesagt hatte, als sie auf dem Rückweg zum Auto gewesen waren: »Es gibt Dinge unter den Hügeln, die nicht gut sind. Dinge, die man nicht wecken sollte.«
    Akuyi hatte ganz unbekümmert zu ihr hochgeblickt. »Aber warum denn? Es sind doch nur alte Dinge, von den Vorfahren der Menschen in diesem Land. Warum sollte etwas schlecht sein, was die Ahnen hinterlassen haben?«
    »Hey, schläfst du hier mitten am Tag ein, oder was?«, herrschte die Dicke Dirk an.
    »Was?« Dirk hatte Mühe, die Erinnerung abzuschütteln. Akuyi war ihm gerade so gegenwärtig gewesen, dass er das Gefühl gehabt hatte, nur die Hand nach ihr ausstrecken zu müssen, um sie in die Arme schließen zu können – auch wenn es eine sehr viel jüngere Akuyi gewesen war.
    »Also, was ist jetzt?«, setzte die Dicke nach, als Dirk noch immer keine
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