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Sturm: Roman (German Edition)

Sturm: Roman (German Edition)

Titel: Sturm: Roman (German Edition)
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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kletterte über die Konsole, das aber wohl etwas zu hastig, denn er stieß mit dem Kopf gegen die Sonnenblende, die daraufhin ein Stück herunterklappte und ihm vollends den Weg versperrte.
    Als er hochblickte, sah er in die Mündung einer Pistole.
    Sie war direkt auf seinen Kopf gerichtet, und für einen verrückten Moment glaubte er, John sei zurückgekehrt, um sich für seine vorlauten Bemerkungen zu rächen. Aber natürlich war das Blödsinn. Es war eine kleine Pistole (Dirk kannte sich mit Waffen nicht aus, aber er vermutete, dass derartige Pistolen gebaut wurden, um neben Makeup-Utensilien in den Handtaschen zierlicher Frauen oder in den Wadenholstern harter Kerle verstaut zu werden), und sie war mit Klebeband am Sonnenschutz befestigt. Kein sehr originelles Versteck, aber für einen Taxifahrer sicherlich weitaus besser geeignet, um im Notfall schnell eine Pistole ziehen zu können, als wenn sie im Handschuhfach gelegen hätte.
    Dirk hätte später nicht sagen können, warum er das tat, aber er reagierte zielstrebig. Mit einem entschlossenen Griff packte er die Pistole und zerrte an ihr, bis er sie in der Hand hielt. Nachdem er sich mit einem raschen Blick davon überzeugt hatte, dass niemand auf dem Hof war, ließ er sie in seiner Jackentasche verschwinden, klappte den Sonnenschutz wieder hoch und stieg aus.
    John hatte nicht aus Zufall genau an dieser Stelle gehalten: Direkt vor der Fahrertür lag eine Bohle, die weit genug aus dem Wasser ragte, um ihm einen trockenen Übergang ins Haus zu gewährleisten. Dirk stieg auf sie, sprang auf den Treppenabsatz und stieß die Tür auf.
    Ein Gestank schlug ihm entgegen, der ihn in einer anderen Situation wahrscheinlich zur Umkehr genötigt hätte. Es war auch hier kalter Zigarettenrauch, hinzu kam jedoch der Modergeruch schimmliger, pilzbefallener Wände und eine Mischung aus Alkohol und Schlimmerem, wie sie einem sonst höchstens von den öffentlichen Toiletten abgelegener Provinzbahnhöfe entgegenschlug, die noch nicht in der Hand von McClean waren. Dirks ungutes Gefühl verstärkte sich, als er nach dem Lichtschalter tastete und stattdessen nur ein Loch in der Wand fand.
    Vorsichtig ging er ein Stück weiter. Seine rechte Hand vergrub sich in der Jackentasche und umklammerte den Griff der Pistole. Im Ernstfall würde sie ihm herzlich wenig nutzen, er wusste ja noch nicht einmal, ob das kleine Ding einen Sicherungshebel hatte, den er umlegen musste, bevor er einen Schuss abgeben konnte. Trotzdem verlieh ihm die Waffe ein Gefühl von Sicherheit, während er sich weiter durch das Halbdunkel tastete.
    »Das wird er noch bereuen!«, hörte er eine tiefe, rauchige Stimme irgendwo vor sich schimpfen, dann wurde eine Tür aufgestoßen, und ein gelbliches Lichtrechteck zeichnete sich auf dem Boden ab, wurde aber sofort wieder verdeckt, als eine massige Gestalt in den Gang hinaustrat. »Sich dem Ratschluss der Ahnen zu widersetzen ist gefährlicher, als Affenpisse zu saufen«, brummte die Gestalt, schmiss schwungvoll die Tür zu und stapfte schwergewichtig in Dirks Richtung.
    Dirk wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Es war offensichtlich eine Frau, die da auf ihn zuhielt (zumindest hoffte er das, es hätte ihn allerdings nicht gewundert, wenn er hier der dicksten, widerlichsten Transe begegnet wäre, die die Stadt zu bieten hatte), und sie war mächtig in Fahrt, wie die energischen Schritte und das böse, halblaute Gemurmel bewiesen, das nicht für einen Sekundenbruchteil verstummte. Hätte es die Möglichkeit gegeben, hätte sich Dirk blitzschnell in eine Ecke verdrückt, oder besser noch in einen Nebenraum, sodass ihn dieses Schlachtross überhaupt nicht zu Gesicht bekam. Die einzige Chance, einer Begegnung zu entgehen, hätte darin bestanden, auf dem Absatz kehrtzumachen und den gleichen Weg zurückzustürzen, aber das wäre ihm wie ein Verrat an Akuyi vorgekommen.
    »Vorsicht«, sagte er stattdessen. »Das Licht scheint hier nicht zu funktionieren.«
    Die massige Gestalt vor ihm blieb abrupt stehen, und Dirk schlug ein süßlicher und zugleich beißender Geruch entgegen, der fast noch ekelhafter war als die ohnehin schon unerträgliche Duftmischung in diesem Gebäude.
    »Sprichst du von Licht?«, röhrte die Stimme. »Oder gar von Erleuchtung? Dann bist du hier vollkommen falsch. In dieser Stadt wohnen nur Menschen, die gar nicht mehr wissen, was das ist. Sie stecken die Köpfe in Bildschirme, knallen sich die Birne mit Gewalt- und Pornodarstellungen zu und
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