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Straße ins Nichts (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Straße ins Nichts (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Titel: Straße ins Nichts (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
Autoren: James Lee Burke
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und dieses Tuch um den Hals. Draußen waren zwei bewaffnete Wärter, und eine Aufseherin war drin, aber keiner von denen hat was gerafft. Letty und Passion konnten ständig zusammen auf dem Klo ein und aus gehen. Kapierst du?«
    »Was willst du mir damit sagen, Clete?«
    »Auf der Heimfahrt war Passion total anders, als ob wir uns nie gekannt hätten. Völlig durchgedreht. Hat ständig geweint. Aus dem Fenster gestarrt. In die Dunkelheit. Ich hab ihr gesagt, dass ich mitkomme, wenn Letty auf den Tisch muss. Sie hat gesagt, sie geht nie wieder in das Todeshaus. Einfach so. Ohne jede Erklärung.«
    Ich hörte seinen Atem durch das Telefon, das Kettenklirren.
    »Ich glaube, die beiden haben ihre Entscheidung getroffen. Meiner Meinung nach sollte man es dabei bewenden lassen«, sagte ich.
    »Du musst mir schon eine bessere Antwort geben«, sagte er.
    Aber ich wusste keine bessere Antwort. Ich hörte, wie Clete den Telefonhörer fallen ließ, wie er an die Wand schlug. Dann nahm ihn jemand und hängte ihn ein.
    Kurz nachdem ich daheim war, fing es an zu regnen. Ich wollte an diesem Abend weder Radio hören noch fernsehen, und zehn Minuten nach Mitternacht zog ich meinen Regenmantel an und ging hinunter zum Köderladen, schaltete die Lichterketten über dem Bootssteg an, die Strahler, die auf den Bayou schienen, und jede einzelne Lampe in sämtlichen Ecken und Winkeln des Ladens. Ich brühte mir einen Kaffee auf, wischte den Boden, schnitt Brot auf und halbierte es zu Sandwiches, zählte an den Fingern den Rosenkranz ab und betete, horchte auf den trommelnden Regen auf dem Dach, bis ich nichts anderes mehr hörte. Dann wurde mir mit einem Mal klar, dass ich keine Regentropfen mehr hörte, sondern Hagel, der schlierig weiß im Schein der Strahler fiel, auf dem Bootssteg tanzte und dann verdunstete, und ich wollte am liebsten für immer in diesem gleißend kühlen Lichterglanz vor dem Köderladen bleiben, Bootsie und Alafair bei mir haben und die Welt sich selbst überlassen, ihrem Handel und Wandel und der Unmenschlichkeit, die sich zwischen Morgengrauen und der Düsternis über den Bäumen zutrug.
    Aber ich war es, der die Welt nicht sich selbst überlassen konnte. Am nächsten Tag fuhr ich hinaus zum Haus der Labiches, wo mir ein großer, hellhäutiger Mulatte, den ich noch nie gesehen hatte, mitteilte, dass Passion in ihrem Nachtclub wäre, um vor dem Öffnen alles Nötige vorzubereiten. Er hatte einen Schnurrbart und trug zweifarbige Schuhe mit Bommeln, eine dunkelblaue Röhrenhose mit weiß abgesteppten Nähten, ein schwarzes Cowboyhemd mit Druckknöpfen und aufgestickten roten Blüten und einen Strohhut, der schief auf seinem Kopf saß.
    »Wie ist ihr zu Mute?«, sagte ich.
    »Fragen Sie sie selber«, sagte er.
    »Entschuldigen Sie, aber wer sind Sie?«
    »Was geht Sie das an, Mann?«, sagte er und schlug mir die Tür vor der Nase zu.
    Passions Pick-up war das einzige Fahrzeug, das auf dem Parkplatz des Nachtclubs stand. Ich trat durch die Seitentür ein und sah eine Frau an dem alten Klavier an der hinteren Wand sitzen. Sie ging völlig in ihrer Musik auf und nahm gar nicht wahr, dass sich noch jemand anders im Raum befand. Ihre kräftigen Arme hoben und streckten sich, während ihre Finger über die vergilbten Tasten auf und ab perlten. Ich konnte nicht feststellen, welches Stück sie spielte, aber der Stil war unverkennbar. Es war Albert Ammons, Jerry Lee Lewis und Moon Mulligan, es war Barrelhouse-Piano, die Kneipenmusik aus dem Süden der fünfziger Jahre, es war der Rhythm & Blues aus Memphis und Texas, der einem schier das Herz brechen konnte.
    Die Frau auf dem Klavierhocker trug Jeans und ein T-Shirt der LSU. Ein goldener Sonnenstrahl fiel wie ein Schwert über ihren Hals und die rote Rose inmitten grüner Blätter, die auf ihre Haut tätowiert war.
    Sie beendete ihren Song, schien dann zu bemerken, dass jemand hinter ihr stand. Sie blieb reglos sitzen, während sich die Haare in ihrem Nacken im Luftzug des Ventilators hoben, dann klappte sie den Deckel über den Klaviertasten zu.
    »Wollen Sie irgendwas?«, sagte sie, ohne sich umzudrehen.
    »Nein. Eigentlich nicht«, erwiderte ich.
    »Sind Sie drauf gekommen?«
    »Wie Clete Purcel sagt: ›Was weiß ich denn schon?‹«
    »Nehmen Sie es mir übel?«
    »Nein.«
    »Meine Schwester war tapfer. Viel tapferer als ich«, sagte sie.
    »Der Typ in Ihrem Haus sieht aus, als ob er in der Szene wäre.«
    »Er will auch leben, nicht wahr?«
    »Ich habe noch nie jemanden
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