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Straße der Diebe

Straße der Diebe

Titel: Straße der Diebe
Autoren: Mathias Enard
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Hitze von Barcelona, die einem Tanger und Tunis in Erinnerung rief – wir ließen Bassam zu unserer Erleichterung in der Straße der Diebe zurück und setzten uns auf die kleine Terrasse unseres Cafés etwas weiter im Süden, in der Calle del Cid; dort, in der Deckung dieser abgeschiedenen Gasse, tranken wir Bier, und Mounir war mir eine große Stütze, er schaffte es immer, mich zum Lachen zu bringen: Trotz seiner heiklen Lage bewahrte er seinen Sinn für Humor, seine Tatkraft, und es gelang ihm, mir ein wenig davon abzugeben, mich alles das vergessen zu lassen, was ich verloren hatte, was zerbrochen war, ungeachtet der Welt um uns herum, eines Spaniens, das immer tiefer in die Krise rutschte, eines Europas, das sich vor unseren Augen zerstörte, und einer arabischen Welt, die nicht aus ihren Widersprüchen herauskam. Mounir war erleichtert über den Sieg der Linken bei den Präsidentschaftswahlen in Frankreich, er sah darin einen Hoffnungsschimmer, er war Optimist, da war nichts zu machen, der kleine Dieb und Schieber meinte, die Revolution sei noch im Gange, sie sei noch nicht endgültig von Dummheit und Verblendung zermalmt worden, und er lachte, er lachte über die Millionen Euro, die in den Banken oder den krankenden Ländern versickert waren, er lachte, und er war zuversichtlich, alle diese Schlappen waren nichts, sein Elend in Paris, sein Elend in Barcelona, er bewahrte sich die Kraft der Armen und der Revolutionäre, er sagte, eines Tages, Lakhdar, eines Tages werde ich in Tunesien anständig leben können, dann können mir Mailand, Paris oder Barcelona gestohlen bleiben, du wirst es sehen, eines Tages, und ich, der eigentlich nie aus Tanger weggehen wollte, der diese Träume von Emigration nie wirklich geteilt hat, erwiderte ihm, gut versteckt im Raval, in unserem Palast der Aussätzigen, von wo aus wir die Welt zusammenbrechen sehen, würde uns es immer besser gehen,
    ,
    und darüber lachte er nur.

Ich gelangte mehr und mehr zu der Überzeugung, dass DIE Stunde nahte; dass Bassam auf ein Signal wartete, um seine Rolle beim Weltuntergang zu übernehmen – tagsüber verschwand er größtenteils im Rhythmus der Gebete; er tat so, als freute er sich, wenn ich ihm vorschlug, eine Runde zu drehen, in ein anderes Viertel zu gehen, die Möglichkeiten der Stadt zu nutzen, die uns ihre Arme entgegenstreckte; eine halbe Stunde gelang es ihm, mir etwas vorzumachen, sich für ein oder zwei Mädchen und drei Schaufenster zu begeistern, dann wurde er wieder still, fiel wieder seinen Erinnerungen, seinen Vorhaben oder seinem Hass anheim. Wenn ich ihn ausquetschte, schaute er mich fassungslos an mit seinem Quadratschädel, als verstünde er überhaupt nicht, worauf ich anspielte, und ich überraschte mich dabei, dass ich zweifelte, mir sagte, dass ich vielleicht übertrieb, die Stimmung, die Straße der Diebe und Judits Erkrankung zehrten an meinen Nerven, und dann schwor ich mir, ihn nie wieder darauf anzusprechen – bis der Abend anbrach, bis er für zwei oder drei Stunden in Gesellschaft seiner aus dem Nichts aufgetauchten pakistanischen Kumpel Gott weiß wohin verschwand und stumm, mit dem verlorenen und bebenden Blick des um Hilfe Rufenden wieder zurückkehrte, um Mounirs Platz auf dem Sofa einzunehmen, und meine Zweifel und Fragen wieder in mir aufkamen. Einmal hatte ich bemerkt, dass er mit einer Plastiktüte zurückgekommen war, merkwürdig für jemanden, der nie etwas kaufte, der fast nichts besaß außer einigen Kleidungsstücken, die er jeden Abend vor dem Schlafengehen nach den religiösen Vorschriften von Hand wusch – als er pinkeln ging, warf ich einen Blick hinein, die Tasche enthielt vier neue Handys eines sehr einfachen Modells, ich erinnerte mich an den modus operandi des Attentats in Marrakesch, natürlich konnte ich nicht widerstehen, ich stellte ihn zur Rede, er schien nicht wütend darüber, dass ich seine Sachen durchwühlt hatte, nur ein wenig angenervt von meinen Verdächtigungen, er antwortete ganz einfach, das ist ein kleines Geschäft von meinen Kumpels da unten, wenn du willst, kann ich dir eines umsonst besorgen – ich war entwaffnet und schwieg.
    Ich war zweifellos dabei durchzudrehen, völlig paranoid zu werden.

Eines Tages hielt ich es nicht mehr aus, ich sprach mit Judit darüber. Sie lag noch immer im Krankenhaus, die Operation war ständig verschoben worden: Wegen einschneidender Kürzungen im Budget war das Krankenhaus gezwungen gewesen, Teile des OP -Bereichs zu schließen –
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