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Strafbataillon 999

Strafbataillon 999

Titel: Strafbataillon 999
Autoren: Heinz G. Konsalik
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immer, bevor er ›Hinlegen‹ befahl: »Entweder Doktor oder Schütze, aber jetzt sind Sie Schütze. Von Beruf und Berufung! Hinlegen!«
    Schütze Ernst Deutschmann, Doktor der Medizin, Biochemiker, Privatdozent an der Berliner Universität, anerkannter Privatgelehrter und Verfasser einiger beachteter Artikel in den medizinischen Fachzeitschriften, legte sich hin und drückte dabei die Fersen nach innen zu Boden. »Schütze Doktor –!« hörte er die Stimme des Oberfeldwebels noch einmal sagen. Und dann hörte er den dritten in der Reihe:
    »Schütze Erich Wiedeck, Herr Oberfeldwebel!«
    Dann sagte der Oberfeldwebel etwas, brüllte wieder, aber Deutschmann verstand nicht, was er brüllte; er lag mit dem Gesicht auf den Armen, es war ihm übel, der Regen stach ihm kalt in den Nacken, trommelte sanft auf seinen Rücken, er fröstelte, aber zugleich war es ihm auch heiß, vor seinen Augen lag ein rundes, nasses Steinchen, und eine kleine, nasse, verlorene Ameise kletterte darüber, verharrte, drehte sich herum, lief zurück, und er dachte: Es wird noch eine Weile dauern, bis ich gesund bin.
    Und dann hörte er, wie sich der dritte Mann neben ihm hinlegte.
    Oberfeldwebel Krüll stand jetzt vor dem vierten. Dieser war mittelgroß und genauso breit wie der Oberfeldwebel. Doch was bei Krüll Fett war, waren bei ihm dicke, schwellende Muskeln, die bei jeder seiner Bewegungen wie von eigenem Leben erfüllt unter dem knappen, geflickten, naß anklebenden Uniformrock spielten. Der mächtige Brustkorb spannte sich weit über den eingefallenen Bauch und stämmigen, dicken O-Beinen. Der Mann schien wie aus einem Felsblock grob herausgehauen zu sein, und sein Gesicht war wie ein plumper Lehmklumpen: eine niedrige Stirn unter dem kurzgeschorenen, schwarzen Haar, eine plattgeschlagene Nase und das Kinn eines Totschlägers. Er grinste. Doch nur sein Mund grinste; die etwas schrägstehenden dunklen Augen waren leblos und stumpf wie zwei Glaskugeln.
    »Meine Fresse – hast du eine Visage!« sagte Krüll.
    »Hab' auch schon 'ne Schönheitskonkurrenz gewonnen – gleich nach Ihnen«, sagte der andere, »im übrigen heiße ich Karl Schwanecke, habe Schweißfüße, und Sie sind der Spieß, und jetzt leg' ich mich auch gleich hin.« Er machte Anstalten sich neben die anderen hinzulegen, doch der verblüffte, ratlose Krüll schrie ihn an, er solle stehen bleiben. So blieb Karl Schwanecke stehen und grinste den Oberfeldwebel an, der lange nichts sagte.
    Weiß Gott, was Krüll in diesen Sekunden dachte. Wahrscheinlich gar nichts; sein Gehirn war wie gelähmt. Etwas Ähnliches hatte er noch nie erlebt. Wohl gab es manchen widerspenstigen Kerl in diesem verfluchten Bataillon, 'ne Menge Intelligenzler und Brillenträger, und auch manchen Kriminellen, der hierher abgeschoben wurde. Aber keiner wagte, ihm, Oberfeldwebel Krüll, so etwas – so etwas –, Schweißfüße, dachte er, und wußte nicht, was er tun sollte. So fing er brüllend zu fluchen an. Das war der beste Ausweg, und wenn man es lange genug tat, fiel einem fast immer etwas Vernünftiges ein.
    Es gibt 'ne Menge Flüche, die ein altgedienter, aktiver Oberfeldwebel lernen konnte, und Krüll hatte immer ein offenes Ohr und ein gutes Gedächtnis gehabt. Außerdem besaß er in dieser Hinsicht so etwas wie eine schöpferische Ader und eine mächtige Stimme, die seinen Neuschöpfungen den nötigen Nachdruck verlieh. Dies, in Verbindung mit seinem Eifer und seiner unnachgiebigen, zielstrebigen Schärfe, war weithin berühmt und ließ ihn schließlich im Strafbataillon landen: wenn überhaupt jemand, so wird dieser Mann mit den Volksschädlingen und solchen Elementen dort fertig werden. Tatsächlich, er hatte es im kleinen Finger.
    Aber nun ließ ihn sein kleiner Finger im Stich, und das Gehirn hatte er kaum zu gebrauchen gelernt. Menschen wie Schwanecke hatte man bis zu diesen Tagen des totalen Krieges kaum in eine Uniform gesteckt. Man sperrte sie in ein Zuchthaus ein, oder man brachte sie um, je nachdem. Er, der Erfahrene, war jetzt hilflos, und weil er hilflos war, brüllte er und fluchte: mit einem puterroten Gesicht, weit offenem Mund und hervorquellenden, halbgeschlossenen Augen. Seine brüllende Stimme füllte jeden Winkel des weiten Platzes aus und duckte das schläfrige, dumpfe Leben in der Kaserne bis zum völligen Stillstand. Nur Karl Schwanecke lebte weiter in seinem breiten, unverschämten Grinsen, und als Krüll eine Atempause einlegte, breitete sich mit einem Schlag
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