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Stone Girl

Stone Girl

Titel: Stone Girl
Autoren: Alyssa B. Sheinmel
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wird, muss sie auch noch dann aufs Klo, wenn es Zeit ist, ins Bett zu gehen. Und trotzdem schafft sie es morgens nach dem Aufwachen kaum ins Bad. Normalerweise wacht sie von ihrem starken Drang zu pinkeln auf. Sie braucht nicht mal einen Wecker, aber sie stellt ihn sich trotzdem immer.
    Bevor Sethie einschläft, malt sie sich aus, was sie am nächsten Tag essen wird. Jeder Tag, denkt sie, ist eine neue Gelegenheit zur Vorbildlichkeit. Während sie im Bett liegt, stellt sie sich den morgigen Tag wie einen Neuanfang vor. Wenn sie die Augen schließt, sieht sie einen großen, leeren Teller vor sich und plant ihr Essen minutiös. Sethie macht es nichts aus, hungrig ins Bett zu gehen, im Gegenteil. So wird es noch spannender, für den darauffolgenden Tag zu planen. Sie stellt sich vor, wie zufrieden ihr Bauch sein wird, wenn sie ihn ausschließlich mit der exakten Menge dessen füllt, was gut für sie ist. Vielleicht wird sie morgen als ein Mädchen aufwachen, das nach der Schule keinen Hunger auf einen kleinen Snack verspürt und das einfach vergisst, zu Mittag zu essen, weil es so beschäftigt ist. Vielleicht wird sie morgen dünner aufwachen als heute.
    Sethie war noch nie eine große Frühstückerin. Als sie noch jünger war, hat sie das Frühstück genau wie ihre Mutter ausgelassen und ist sich dabei sehr erwachsen vorgekommen.
    Heute, am zweiten Schultag, gestattet sie sich einen Kaffee aus der Mensa. Eigentlich sollen die Schülerinnen nicht von den Teilchen nehmen, die zum Frühstück ausliegen, da sie nur für Lehrer gedacht sind, doch einige der Mädchen bedienen sich trotzdem heimlich. Sethie streut sich gerade Zucker in den Kaffee (Zucker ist erlaubt, kein Fett, dafür aber ein extra Schub Energie), als sie hört, wie zwei Mädchen aus dem Junior-Jahrgang darüber beratschlagen, ob sie etwas von dem Essen verschwinden lassen sollen.
    »Ich glaube, ich will einen Maismehlmuffin.«
    »Dann hol dir doch einen.«
    »Was, wenn ich erwischt werde?«
    »Dann legst du ihn eben wieder zurück.«
    »Na, ich weiß nicht, ob das so gut ist.«
    »Wieso, es ist in jedem Fall gut, sich den Muffin zu holen! Das Frühstück ist immerhin die wichtigste Mahlzeit des Tages.«
    Das andere Mädchen verdreht die Augen. »Nein, ich meine, gut für meine Diät.«
    »Ach so.«
    Sethie findet, die Lehrer hier sind allesamt Heuchler. Immerzu warnen sie die Mädchen vor den Gefahren einer Diät, verwehren ihnen aber gleichzeitig das Schulfrühstück. Sethie erinnert sich noch gut daran, wie die Maismehlmuffins schmecken. Sie hat sie selbst von Zeit zu Zeit gestohlen, als sie in der neunten oder vielleicht zehnten Klasse war. Sie weiß noch, wie viel Angst sie hatte, erwischt zu werden. Sie war genau der Typ Schülerin, bei der Muffins-Klauen als ein bedenkliches Aus-der-Reihe-Tanzen interpretiert worden wäre. Sie weiß auch noch, wie warm sie immer waren und wie sie beim Reinbeißen gebröselt haben.
    Mittags in der Mensa verteilt Sethie Erdnussbutter auf ihrem Bagel. Sie steht bei dem Tisch mit dem Gebäck, wo alle möglichen Brotsorten ausliegen, damit sich die Schüler Sandwiches machen können. In Sethies Schule ist es nicht erlaubt, sein eigenes Essen mitzubringen, da es im Schulgeld inbegriffen ist. Einmal hat Sethie die anfallenden Kosten zusammengerechnet und kam auf so was wie acht Dollar pro Mahlzeit. Nicht für mich, denkt sie, während sie ihren Bagel auf einem Schulbuch balanciert. Sethie ist Vollstipendiatin. Am liebsten würde sie die Erdnussbutter ganz dick auf den Bagel auftragen und die Reste vom Messer lecken. Benimm dich, sagt sie sich und spricht es beinahe laut aus. Sei brav. Einen halben Bagel. Eine dünne Schicht Erdnussbutter. Kaffee mit Zucker und entrahmter Milch. Beim Mittagessen muss sie sich zusammenreißen, weil nicht abzusehen ist, was sie zu Abend essen wird. Gestern Nacht meinte Shaw am Telefon, dass sie heute zu Jane gehen würden. In diesem Moment hat Sethie endlich kapiert, dass Jane das Mädchen von gestern sein muss. Die, die mit ihr an der Wand gehorcht hat.
    Dana, die Redakteurin des Jahrbuchs, stellt sich neben sie an den Tisch mit den Brotkörben.
    »Hey«, begrüßt sie Sethie. Sie greift über Sethie hinweg nach einem Rosinen-Zimt-Bagel.
    »Hey«, antwortet Sethie, doch das Einzige, was sie denken kann, ist: »Kalorien, Kalorien, Kalorien.«
    »Du kommst heute nicht zu unserem Treffen?«
    »Kann nicht«, erwidert Sethie. Sie lässt die Arbeit an dem Jahrbuch diesmal sausen. Da sie letztes Jahr
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