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Stone Girl

Stone Girl

Titel: Stone Girl
Autoren: Alyssa B. Sheinmel
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alle Mädchen dünn. Da die meisten schon seit dem Kindergarten hier sind, glaubt Sethie, dass beim Auswahlverfahren nie auch nur eine robustere Vierjährige in Betracht gezogen worden ist.
    Das Aufregendste am Gemeinschaftsraum ist die Telefonkabine. Alle Mädchen warten darauf, seit sie die White besuchen und erstmals mit der strengen »Keine-Handys«-Regel konfrontiert wurden. Sethie weiß noch, was für eine große Sache es damals war, als ihre Mutter ihr mit zehn endlich ein Handy erlaubt hat. Die Telefonkabine im Aufenthaltsraum ist nun fast genauso aufregend. Sethie hat ihr altes Handy immer noch, in einer Schachtel unter ihrem Bett. Manchmal lädt sie es auf, um sich alte Textnachrichten anzusehen, die sie und ihre Freundinnen sich in der fünften Klasse geschickt haben.
    Heute haben Sethies Klassenkameradinnen Jungen von anderen Schulen angerufen, für die sie schwärmen, um ihnen die Nummer des Senior-Aufenthaltsraums zu geben. Das Telefon hat den ganzen Tag geklingelt. Sethie hat sich entschieden, Shaw die Nummer nicht zu geben. So ist sie wenigstens nicht enttäuscht, wenn er nicht anruft.
    Während sie heute von Klasse zu Klasse gerannt ist und sich den ganzen Tag abgehetzt hat, ist Shaw gemächlich umhergeschlendert, das weiß Sethie. Denn Shaw rennt nicht.
    Das ist eins der Dinge, die sie so an ihm mag. Er macht sich nie Sorgen darum, ob er zu spät ist. Er kommt an seinem Bestimmungsort an, wenn er dazu bereit ist, also immer zur rechten Zeit. So eine Ruhe würde sie auch gerne spüren, würde gerne in ihn hineinkriechen, um zu sehen, wie es sich in diesem Körper anfühlt: so sicher, so seidenweich, so straff, so schlank und so langsam. Shaw muss sich nicht beeilen – schließlich beeilt sie sich schon genug für sie beide.
    Als Sethie ihn endlich sieht, wartet Shaw nicht auf sie. Er steht zwar mit seinen Freunden an der Ecke, aber er wartet nicht. Hatten sie nicht abgemacht, sich nach der Schule zu treffen? Sie dachte eigentlich schon, doch jetzt wirkt er so überrascht, sie zu sehen, dass sie glaubt, sie hat sich vielleicht getäuscht. Vielleicht hat nur sie allein entschieden herzukommen, und es ist reines Glück, dass Shaw sich tatsächlich hier aufhält.
    »Hey, Kleine«, sagt er, und sie stellt sich neben ihn. Er gibt ihr keinen Kuss zur Begrüßung und legt auch nicht den Arm um sie. Um zu zeigen, dass sie zu ihm gehört, nimmt sie seine Zigarette und zieht ausgiebig daran.
    Shaws Schule, die Houseman Prep, ist gemischt, daher stehen Mädchen und Jungen im Kreis neben Sethie und Shaw, und nicht nur Mädchen, wie vor Sethies Schule. All die verschiedenen Schulen im Norden der Stadt wirken wie eine einzige, die sich über ein riesiges Gelände erstreckt. Wobei es wahrscheinlich noch nicht mal als riesig durchgehen würde. Sethie könnte wetten, dass es einige Campusgelände gibt, die sogar noch größer sind. In Kalifornien vielleicht oder in Europa.
    Die Gruppe setzt sich in Bewegung. Sethie ist sich nicht ganz sicher, aber sie glaubt, sie gehen zu ihrem Haus. Sie lebt mit ihrer Mutter nur ein paar Blocks von hier, und nebenan steht ein Apartment leer, das noch vermietet werden muss. Niemand schließt ab, die Leute von der Gebäudeverwaltung lassen es offen, damit die Immobilienmakler rein- und rauskönnen, wie es ihnen gefällt. Im Sommer sind Sethie und Shaw immer zum Rauchen hergekommen. Natürlich wusste Sethie, dass es riskant war, doch wo hätten sie sonst hin sollen? Ihre Mutter hat unregelmäßige Arbeitszeiten und wirbelt in einer Tour in die Wohnung herein und wieder hinaus. Shaws Mutter arbeitet gar nicht und ist die ganze Zeit zu Hause. Also gingen sie nach nebenan.
    Allerdings ist sich Sethie ziemlich sicher, dass sie diese ganzen Leute nicht in das leere Apartment eingeladen hat. Sie dachte lediglich an sie beide. Sie will die anderen da nicht haben. Sie will, dass nur Shaw mitkommt. Denn wann sollen Shaw und sie sonst je alleine sein? Und wissen die anderen, dass sie leise sein müssen? Werden sie ein anderes Mal mit neuen Freunden wiederkommen? Und wenn sie gehen will, sind die anderen dann auch so weit, oder muss sie auf sie warten, wo sie doch nichts sehnlicher will als nach Hause, in ihre Wohnung direkt nebenan? Aber sie wird nicht gehen können, denn sie trägt die Verantwortung. Sie ist die Gastgeberin. Sie wünschte, sie wäre Shaw. Verantwortung perlt an ihm ab wie Wasser von einer fettigen Pfanne. Sie wünschte, es würde sie nicht kümmern, was andere von ihr denken.
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