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Stimme aus der Unterwelt

Stimme aus der Unterwelt

Titel: Stimme aus der Unterwelt
Autoren: Stefan Wolf
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nach Bad Fäßliftl zurück und rasten dort in der
Jugendherberge.“
    Paulines Lächeln verstärkte sich. „Ich
glaube, das wird ein unterhaltsamer Abend.“ Leise fügte sie hinzu: „Mit mir
könnt ihr rechnen.“
    Sie ist weit über 70, dachte Tim, aber
proper.
    Pauline war hochgewachsen und schlank.
Sie trug das silbergraue Haar wie Gaby, das heißt mit Pony und Pferdeschwanz.
Statt der Schleife benutzte die Industriellen-Witwe allerdings eine
Wäscheklammer. Das Gesicht war gebräunt — und die einstige Schönheit noch
festzustellen. Blaue Augen, ein dunkelroter Lippenstift und grüne Lidschatten.
Pauline ließ keinen Zweifel daran aufkommen, daß sie sich jung fühlte. Sie trug
Jeans, ein gelbes T-Shirt mit der Aufschrift RUDI’S ATHLETEN-GYM und
abgelatschte Tennisschuhe. Außerdem Ringe, Armbänder und eine dicke goldene
Halskette.

    Kein Wunder, daß sie den Leuten hier
auffällt, dachte Tim. Die Dame lebt nach ihren eigenen Vorstellungen.
    „Was ist los da draußen?“ brüllte eine
Berserker-Stimme hinter der Tür. „Ist dein Gesangverein da, Pauline?“

6. Sülzkopf und Kuhschwänze
     
    Alma Flinkfinger leckte an der Außenseite
ihres Cognacglases ein paar Tropfen ab.
    Offenbar ein sparsamer Mensch, dachte
Grobalsky und sagte: „Es hat geklingelt.“
    „Wie? Egal. Kann warten. Schenken Sie
noch einen ein, Heini.“
    „Soll ich aufmachen?“
    „Gute Idee.“
    Er stand auf und ging in die säuerlich
riechende Diele, wo er eine Weile nach dem Lichtschalter suchen mußte.
    Alma würde sich jetzt zwei, drei
Doppelte genehmigen — ganz rasch. Ihm war das recht, wenn er damit ihre
Sympathie gewann.
    Draußen, auf der einzigen Stufe, stand
ein untersetzter Typ im hellen Leinenanzug. Seine Krawatte war etwas zu lang
gebunden und hing bis zum Bauch hinunter. Auf dem strengen Gesicht glitzerte
eine randlose Brille. Der Mann sah nicht aus, als ließe er mit sich umspringen.
    „Guten Abend. Ist Frau Flinkfinger nicht
da?“
    „Doch. Sie ist da.“
    „Ich bin Rechtsanwalt Posnickel. Tut
mir leid, daß ich jetzt störe. Aber ich hatte tagsüber keine Zeit. Und morgen
früh fahre ich in Urlaub.“
    „Treten Sie näher, Herr Rechtsanwalt“,
rief Alma aus ihrem Boudoir.
    Grobalsky blieb dicht hinter dem späten
Besucher und war gespannt. Worum ging’s? Posnickel — das wußte er — hatte
Oswald damals vor Gericht verteidigt. Sogar mit gutem Erfolg. Denn aus den fünf
Jahren Knast hätten auch zehn werden können.
    Der Rechtsanwalt schnupperte, als er in
das schwülstige Zimmer trat, und sah zuerst die Flasche an.
    „Dürfen wir Ihnen einen Schluck
anbieten?“ fragte Grobalsky. „Mein Name ist Grrobbbblalablasky“, er nuschelte
so unverständlich, daß sich fast die Zunge verknotete. „Ich bin ein Freund des Hauses.“
    Der Anwalt nickte. „Einen Cognac nehme
ich. Dann beginnt eben mein Urlaub schon jetzt.“
    Er schüttelte Alma die Hand, nahm den
angebotenen Stuhl und wartete, bis Grobalsky ihm eingeschenkt hatte.
Währenddessen zog er einen länglichen Umschlag aus der Brusttasche.
    „Eigentlich, Frau Flinkfinger, wollte
ich die Unterlagen morgen Ihrem Sohn übergeben. Oder übermorgen. Aber wegen
meiner Frau — sie hat für Kenia gebucht — ergibt sich nun, daß wir eine Woche
früher reisen müssen. Mit gutem Gewissen kann ich mich gar nicht losmachen von
der Kanzlei. Mir platzt ein Dutzend Termine.“
    Er sah die beiden so vorwurfsvoll an,
als wären sie daran schuld.
    „Prost!“ Alma hob ihr Glas.
    Sie tranken.
    „Was für Unterlagen?“ fragte Alma.
    „Wegen des Grabes.“
    „Häh?“
    Posnickel trank, lehnte aber einen
zweiten Cognac ab „Ihr Sohn, Frau Flinkfinger, bat vor etwa fünf Wochen um
meinen Besuch. Es fiel günstig mit einem Termin zusammen, den ich in Wien
wahrnehmen mußte. Also bin ich gleich hin zur Strafanstalt. Oswald hat, wie Sie
sicherlich wissen, unsere ,Bad-Fäßliftl-Nachrichten’ abonniert, was ich
grundsätzlich gut finde für einen Haftanstalt-Insassen. Es erleichtert später
die Eingliederung in die Gesellschaft und... Also, der Oswald hat in der
Zeitung gelesen, daß auf unserem Friedhof Platzmangel herrscht. Das ist ja
allgemein bekannt. Deshalb werden Gräber, deren Belegungszeit abgelaufen ist — also
nach 30 Jahren stillgelegt... äh... ich meine, die Gebeine der Verblichenen
werden entfernt, und das Grab steht der nächsten Leiche zur Verfügung.“
    „Was hat denn Oswald damit zu tun?“
fragte Alma. „Er lebt doch noch. Und ich
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