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Sternwanderer

Titel: Sternwanderer
Autoren: Neil Gaiman
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Neuankömmlinge begaben sich vielmehr vors Haus, um zu gaffen.
    Tommy Forester zog das Hemd aus und hob die Fäuste. Der Fremdling lachte, spuckte ins Gras, packte blitzschnell die rechte Hand seines Gegners und schleuderte ihn zu Boden, wo Tommy hart mit dem Kinn aufschlug. Mühsam rappelte er sich wieder auf und wollte sich auf den Fremden stürzen. Doch kaum hatte er die Wange des Mannes auch nur mit der Faust gestreift, da lag er auch schon wieder mit dem Gesicht nach unten im Dreck und schnappte nach Luft. Alum Bey aber saß auf ihm und sagte lachend etwas auf arabisch.
    So rasch und einfach war der Kampf vorüber.
    Dann gab Alum Bey Tommy frei, stolzierte zu Bridget hinüber, verbeugte sich tief und grinste sie an, daß seine weißen Zähne nur so blitzten.
    Aber Bridget schenkte ihm keine Beachtung, sondern rannte zu Tommy. »Oh, was hat er dir nur angetan, mein Süßer?« rief sie empört, während sie ihm mit der Schürze den Schlamm vom Gesicht tupfte und ihn mit allerlei Kosenamen bedachte.
    Unterdessen kehrte Alum Bey mit den Schaulustigen in den Gastraum zurück und kaufte eine Flasche von Mr. Bromios’ Chablis, die er Tommy freundlich überreichte, als dieser kurze Zeit später ebenfalls wieder hereinkam. Keiner wußte so recht, wer nun eigentlich verloren und wer gewonnen hatte.
    Dunstan Thorn verbrachte diesen Abend nicht im Wirtshaus Zur siebenten Elster, er war ein praktisch denkender junger Mann und hatte die letzten sechs Monate Daisy Hempstock, einer ebenso praktisch veranlagten jungen Frau, den Hof gemacht. Bei schönem Wetter unternahmen sie abends gern einen Spaziergang ums Dorf, sprachen über die Theorie des Fruchtwechsels, über das Wetter und andere unverfängliche Themen.
    Auf diesen Spaziergängen, bei denen ihnen unweigerlich Daisys Mutter und ihre kleine Schwester in einem Abstand von sechs Schritten folgten, blickten sie sich von Zeit zu Zeit liebevoll in die Augen.
    Am Ende blieb Dunstan an der Tür der Hempstocks stehen, verbeugte und verabschiedete sich.
    Daisy Hempstock trat ins Haus, legte ihr Häubchen ab und sagte: »Ich wünsche mir so sehr, Mister Thorn würde sich endlich dazu durchdringen, mir einen Antrag zu machen. Papa hätte bestimmt nichts dagegen.«
    »Da bin ich ganz deiner Meinung«, meinte Daisys Mama an diesem Abend genau wie an jedem anderen, während sie sich ihres eigenen Häubchens und ihrer Handschuhe entledigte und ihre Töchter in den Salon führte, wo ein sehr hochgewachsener Gentleman mit einem sehr langen schwarzen Bart saß und seinen Reisesack durchwühlte. Daisy, ihre Mutter und ihre Schwester knicksten vor dem Gentleman, der sehr wenig Englisch sprach und erst vor wenigen Tagen eingetroffen war. Der Gast seinerseits stand auf, verneigte sich und wandte sich dann wieder seinem Bündel mit allerlei hölzernen Gegenständen zu, die er sortierte, arrangierte und polierte.
     
     
    * * *
     
    Der April war kühl und wechselhaft, wie es für das englische Frühjahr leider oft typisch ist.
    Die Besucher kamen von Süden auf der engen Straße durch den Wald; sie belegten die Gästezimmer und kampierten in Kuhställen und Scheunen. Einige schlugen farbige Zelte auf, manche trafen in eigenen Wohnwagen ein, gezogen von mächtigen grauen Pferden oder kleinen struppigen Ponys.
    Der Waldboden war mit einem Teppich aus Anemonen bedeckt.
    Am Morgen des 29. April hatte Dunstan Thorn Wachdienst am Mauerdurchgang, zusammen mit Tommy Forester. Sie standen zu beiden Seiten der Öffnung und warteten.
    Dunstan hatte schon oft Wache geschoben, aber bisher hatte die Aufgabe nur darin bestanden, dazustehen und gelegentlich Kinder zu verscheuchen.
    Doch heute fühlte er sich äußerst wichtig mit seinem hölzernen Knüppel. Wenn einer der Fremdlinge aus dem Dorf zum Mauerdurchgang kam, erklärte ihm entweder Dunstan oder Tommy: »Morgen, morgen. Heute kommt hier noch niemand durch, ihr guten Herren.«
    Dann zogen sich die Fremden ein Stück zurück und starrten durch die Lücke auf die eigentlich ganz unauffällige Wiese hinaus, auf die gar nicht außergewöhnlichen Bäume und den ziemlich langweiligen Wald dahinter. Einige versuchten die beiden Wächter in ein Gespräch zu verwickeln, aber die jungen Männer gingen – sich ihrer Aufgabe stolz bewußt – nicht darauf ein, sondern begnügten sich damit, den Kopf gerade zu halten, die Lippen zusammenzupressen und ganz allgemein einen bedeutenden Eindruck zu machen.
    Um die Mittagszeit brachte Daisy Hempstock ihnen ein
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