Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Sternwanderer

Titel: Sternwanderer
Autoren: Neil Gaiman
Vom Netzwerk:
Eintopf-Gericht vorbei, und hinter ihr erschien Bridget Comfrey mit zwei Krügen gewürztem Bier.
    Als die Dämmerung hereinbrach, wurden sie von zwei anderen kräftigen jungen Männern aus dem Dorf abgelöst, die jeder eine Laterne trugen, und so wanderten Tommy und Dunstan hinunter zum Gasthaus, wo Mr. Bromios jedem einen Humpen seines besten Biers kredenzte – und das war wirklich gutes Bier! –, sozusagen als Belohnung für den Wachdienst. Das Wirtshaus, in dem sich mehr Menschen drängten, als man für möglich gehalten hätte, summte förmlich vor Aufregung. Es wimmelte von Gästen aus aller Herren Länder, oder jedenfalls schien es Dunstan so. Jenseits des Waldes, der Wall umgab, war er noch nie gewesen, daher hatte er kein Gefühl für die unterschiedlichen Entfernungen. So betrachtete er den großen Gentleman aus London, der am Nebentisch saß und einen schwarzen Zylinder auf dem Kopf trug, mit dem gleichen ehrfürchtigen Staunen wie den noch größeren ebenholzfarbenen Gentleman im weißen Gewand, der mit ihm zu Abend aß.
    Dunstan wußte, daß es unhöflich war zu glotzen und daß er sich als Einwohner von Wall diesen Fremdlingen durchaus überlegen fühlen durfte. Aber es stiegen ihm so ungewohnte Düfte in die Nase, und er hörte Männer und Frauen in so vielen verschiedenen Sprachen miteinander reden, daß er nicht anders konnte, als begierig alles in sich aufzunehmen.
    Der Mann mit dem schwarzen Seidenzylinder hatte bemerkt, daß Dunstan ihn beobachtete, und winkte den Jungen zu sich heran. »Mögt Ihr Karamelpudding?« erkundigte er sich unvermittelt, sozusagen als Einleitung. »Mutanabbi mußte gehen, und soviel Pudding kann ein Mensch unmöglich allein bewältigen.«
    Dunstan nickte. Der Karamelpudding dampfte einladend auf dem Teller.
    »Na, dann bedient Euch«, forderte sein neuer Freund Dunstan auf und reichte ihm eine saubere Porzellanschale sowie einen Löffel. Das ließ sich Dunstan nicht zweimal sagen und machte sich über den Pudding her.
    »Nun, junger Mann«, meinte der große Gentleman mit dem schwarzen Seidenzylinder zu Dunstan, als sowohl die Puddingschüsseln als auch der Teller geleert waren, »wie es aussieht, gibt es im Gasthaus kein Zimmer mehr, und auch im Dorf ist alles besetzt.«
    »Ach wirklich?« fragte Dunstan, allerdings wenig überrascht.
    »Ja, wirklich«, entgegnete der Mann mit dem Zylinder. »Und nun habe ich mich gefragt, ob Ihr vielleicht eine Idee hättet, wo es eventuell noch ein Zimmer geben könnte.«
    Dunstan zuckte die Achseln. »Mittlerweile sind bestimmt alle Zimmer weg«, sagte er. »Ich weiß noch, als ich neun war, haben meine Eltern mich eine ganze Woche lang zum Schlafen in den Kuhstall geschickt, weil sie mein Zimmer an eine orientalische Lady mit Familie und Dienerschaft vermietet hatten. Als Dankeschön hat sie mir einen Drachen geschenkt, den ich auf der Wiese hab’ steigen lassen, bis eines Tages die Schnur gerissen und der Drachen in den Himmel geflogen ist.«
    »Wo wohnt Ihr denn jetzt?« fragte der Gentleman mit dem Zylinder.
    »Ich habe eine Hütte auf dem Land meines Vaters«, antwortete Dunstan. »Es war unsere Schäferhütte, bis der Schäfer gestorben ist, vor zwei Jahren um die Zeit des Erntefests. Da haben meine Eltern die Hütte mir überlassen.«
    »Bringt mich dorthin«, sagte der Gentleman mit dem Hut, und Dunstan kam nicht mal auf den Gedanken, es ihm abzuschlagen.
    Der Frühlingsmond schien hell vom Himmel, die Nacht war klar. Sie wanderten zum Wald unterhalb des Dorfes, an der Familienfarm der Thorns vorüber – wo eine Kuh, die auf der Wiese lag und im Schlaf schnaubte, den Gentleman mit dem Zylinder fürchterlich erschreckte –, und immer weiter, bis sie schließlich Dunstans Hütte erreichten.
    Die Hütte bestand aus nur einem Raum mit einem offenen Kamin. Der Fremde nickte. »Das gefällt mir durchaus«, meinte er. »Kommt, Dunstan Thorn, ich miete Eure Hütte für die nächsten drei Tage.«
    »Was gebt Ihr mir dafür?«
    »Einen goldenen Sovereign, einen silbernen Sixpence, einen Kupferpenny und einen frischen, glänzenden Farthing«, antwortete der Mann.
    Nun war ein Goldsovereign für zwei Nächte ein mehr als angemessener Preis in jener Zeit, in der ein Farmarbeiter in einem guten Jahr hoffen konnte, um die fünfzehn Pfund zu verdienen. Dennoch zögerte Dunstan. »Wenn Ihr gekommen seid, um zum Markt zu gehen, dann handelt Ihr mit Wundern und Zauberei«, sagte er dem großen Mann.
    Dieser nickte. »Ihr seid also auf
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher