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Sternwanderer

Titel: Sternwanderer
Autoren: Neil Gaiman
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Zylinder.
    »Aha, mein Vermieter«, begrüßte der Mann ihn. »Und wie geht es Euch heute, Sir?«
    »Sehr gut«, antwortete Dunstan.
    »Kommt mit«, schlug der andere vor. »Gehen wir gemeinsam über den Markt.«
    So schlenderten sie über die Wiese zu den Zelten.
    »Wart Ihr schon einmal hier?« fragte der große Mann.
    »Ich war auf dem letzten Markt, vor neun Jahren. Damals war ich noch ein kleiner Junge«, antwortete Dunstan.
    »Nun«, meinte sein Mieter, »dann denkt daran, immer höflich zu sein und keine Geschenke anzunehmen. Vergeßt nicht, daß Ihr hier der Gast seid. Und jetzt werde ich Euch noch den letzten Teil der Miete zukommen lassen, den ich Euch schulde. Denn ich habe einen Eid geschworen. Und meine Gaben sind äußerst dauerhaft. Sie sind für Euch und für Euer erstgeborenes Kind und wiederum für das erstgeborene Eures Kindes Kind gedacht… Ein Geschenk, das gilt, solange ich lebe.«
    »Und was ist es, Sir?«
    »Euer Wunschtraum, erinnert Ihr Euch nicht?« antwortete der Gentleman mit dem Zylinder. »Euer Wunschtraum.«
    Dunstan verbeugte sich, und sie gingen weiter in Richtung Markt.
    »Augen, Augen! Neue Augen für alte!« rief eine winzige Frau an einem Tisch, auf dem Flaschen und Gläser mit Augen jeder Art und Farbe aufgebaut waren.
    »Musikinstrumente aus hundert Ländern!«
    »Pfeifen für ‘nen Penny! Lieder für zwei! Choräle für drei!«
    »Wer will sein Glück versuchen? Tretet näher! Wer ein einfaches Rätsel beantwortet, gewinnt eine Windblume!«
    »Immergrüner Lavendel! Akeleituch!«
    »Eingemachte Träume, ein Shilling die Flasche!«
    »Mäntel der Nacht! Mäntel des Zwielichts! Mäntel der Morgendämmerung!«
    »Glücksschwerter! Mächtige Zauberstäbe! Ringe der Ewigkeit! Gnadenkarten! Nur zu, nur zu, immer hereinspaziert!«
    »Salben und Tinkturen, Liebestränke, Geheimarzneien aller Art!«
    Dunstan blieb vor einer Bude mit kunstvoll geformten Kristallgegenständen stehen, inspizierte die winzigen Tierfiguren und überlegte, ob er für Daisy Hempstock eine kaufen sollte. Vorsichtig nahm er eine Kristallkatze, die nicht größer war als sein Daumennagel, in die Hand, doch als sie ihm vielsagend zuzwinkerte, ließ er sie vor Schreck fallen. Doch genau wie eine echte Katze richtete sich die Figur im Fallen auf und landete sicher auf allen vier Pfoten. Dann stolzierte sie in die Ecke der Bude und begann sich zu putzen.
    Dunstan ging weiter durch das Marktgedränge.
    Es wimmelte hier von Menschen – alle Fremden, die letzte Woche nach Wall gekommen waren, aber auch viele Einwohner des Ortes waren inzwischen eingetroffen. Mr. Bromios hatte ein Erfrischungszelt aufgebaut und verkaufte Wein und Pastetchen an die Dorfleute. Zwar fanden diese die Eßwaren der Leute von jenseits der Mauer sehr verlockend, aber sie kauften nichts davon. Nicht umsonst war ihnen von ihren Großeltern (die das gleiche von ihren Großeltern gehört hatten) eingeschärft worden, die Finger von Nahrungsmitteln und Früchten aus dem Feenland zu lassen und keinesfalls Feenwasser oder Feenwein anzurühren – das war ein ungeschriebenes Gesetz.
    Alle neun Jahre baute nun das Volk von jenseits der Mauer und über dem Hügel seine Stände auf; einen Tag und eine Nacht lang beherbergte die Wiese den Feenmarkt, und es gab Handel zwischen den Nationen – einen Tag und eine Nacht lang, einmal alle neun Jahre.
    Es gab Wunder zu kaufen, Mirakel und Sensationen; Dinge wurden feilgeboten, die sich niemand träumen ließ, unerklärlich und phantastisch. Welche Verwendung könnte wohl jemand für sturmgefüllte Eierschalen haben? überlegte Dunstan. Er ließ das Geld in seinem Taschentuch klimpern und hielt Ausschau nach etwas Kleinem und Preiswertem, mit dem er Daisy eine Freude machen konnte.
    Da drang ein leises Klingeln an sein Ohr, kaum hörbar im Marktlärm, und er ging dem Geräusch nach.
    Unterwegs kam er an einer Bude vorbei, in der fünf riesenhafte Männer zu den melancholischen Klängen einer Drehleier tanzten, die von einem bekümmert dreinblickenden schwarzen Bären bedient wurde; dann passierte er einen Stand, an dem ein Mann mit schütterem Haar in einem farbenfrohen Kimono Porzellanteller zertrümmerte und sie in eine brennende Schüssel warf, von der bunter Rauch aufstieg, wobei er den Passanten pausenlos seine Sprüche zurief.
    Das Klimpern und Klingeln wurde lauter.
    Als er zu dem Stand kam, von dem das Gebimmel ausging, konnte er dort niemanden entdecken. Alles war mit Blumen geschmückt: Akelei und
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