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Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher
Autoren: Astrid Paprotta
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seinen Stuhl zurückschob. Ina wollte ihm sagen: Kleben Sie Filz unter die Stuhlbeine, doch deswegen war sie nicht hier. Sie sah sich um und wollte in Urlaub fahren.
    »Ging alles sehr ruhig zu.« Hollstein legte die Hände auf die Knie. »Bißchen geredet haben wir, Karten gespielt, ferngesehen.«
    »Geredet, hm. Über was denn?«
    Er richtete sich auf, legte die Hände in den Nacken. »Übers Fernsehen.«
    Ina sah, wie Kissel gähnte. »Irgendwas«, sagte sie, »wird Robin doch von sich erzählt haben.«
    Hollstein schüttelte den Kopf. »Der war mundfaul. Aber was werd ich ihn löchern, ich gehör nicht zu den Leuten, die andere löchern.«
    Sie schätzte die Todeszeit ab. »Was haben Sie denn gestern mittag gemacht?« Jetzt würde er nachfragen, das machten sie alle.
    »Gestern?« fragte er.
    Sie nickte, und Hollstein fing an, den ganzen Tag zu schildern und vielleicht sogar sein Leben. »Da war Dienstag, gut, da war ich im Supermarkt. Ich gehe jeden zweiten Tag in den Supermarkt und montags nie, weil da hab ich noch vom Wochenende. Man kauft ja doch eher zuviel, wenn der Sonntag kommt. Dann war ich zu Hause, ich dachte, der Robin käme, der war ja schon seit Sonntag weg.«
    »Und dann?«
    »War ich zu Hause. Die Frau Spengler hat angerufen, die aus dem ersten Stock, und sich über den im Parterre beschwert, haben wir ewig telefoniert. Das wird so gegen Mittag gewesen sein, da können Sie fragen.«
    »Haben Sie Robin geschlagen?«
    Hollstein öffnete den Mund, doch kamen die Worte nicht. Erst nach einer Weile sagte er feierlich: »Oh nein.« Dann sprang er auf und fing an, in der kleinen Küche umherzugehen, wobei er eine Hand in einem imaginären Takt auf- und niedersausen ließ. Wie ein Redner sah er aus, der im stillen übt.
    Kissel übernahm. »Wo haben Sie ihn denn aufgegabelt?« und Hollstein lachte auf, ja, so war die Welt, war einer hilfsbereit, dachte man schlecht über ihn. Er setzte sich wieder und begann ein Taschentuch durchzukneten, bis es wie ein undefinierbares Stoffknäuel in seinen Händen lag – am Bahnhof.
    »Natürlich«, sagte Kissel.
    »Natürlich nicht « , rief der Mann. »Was Sie sich so denken.« Der Junge tat ihm leid, hockte so gekrümmt auf den Stufen. Am Südeingang.
    »Da hocken sie alle«, sagte Kissel.
    Der Junge bat um Feuer: einerseits. Andererseits hatte er tierisch gehustet, als er um Feuer bat, was sich ja irgendwie – Hollstein überlegte eine Weile – gegenseitig ausschloß. Er nickte. Inkompatibel. Um Feuer für eine Zigarette zu bitten und wie verrückt dabei zu husten. Das hatte er ihm auch gesagt, du pfeifst doch aus dem letzten Loch, was willst du denn noch rauchen?
    Er wollte trotzdem rauchen, dann waren sie ins Gespräch gekommen, und weil der Junge einen guten Eindruck machte – erstens – und weil er zwotens nicht wußte, wohin, bot er ihm einen Schlafplatz an; »ohne Hintergedanken«, schloß er, »ohne irgendwelche Gedanken.«
    »Und wie war es dann hier?« fragte Ina. »Mit Ihren Gedanken?«
    Hollstein reckte den Kopf. Ruhig sagte er: »Sie sind unverschämt.« Er hob eine Hand – wie gesagt, sie hatten meistens ferngesehen, friedlich und harmonisch, denn Robin war ja ganz verrückt aufs Fernsehen, wenn er denn mal da war, und geschlafen hat er auf der Wohnzimmercouch.
    »Es ist dann ziemlich heftig geworden, ja? Zwischen euch.« Ina stand auf und stützte die Hände auf den Tisch. Hollsteins ängstliche Augen waren jetzt ganz nah.
    Er fragte: »Was stellen Sie sich denn vor?«
    »Ich stell mir vor, daß Sie ihm vielleicht ein bißchen zugesetzt haben, wie er wieder nur fernsehen wollte, ich meine, man holt sich doch keinen Jungen ins Haus, nur um dann fernzusehen. Das kann man auch alleine.« Sie lächelte ihn an. »Man will aber nicht immer alles alleine machen, stimmt’s?«
    »Wie?« fragte Hollstein.
    »Ich kann mir sogar vorstellen, daß Robin gar nicht so nett war, wie Sie jetzt sagen. Daß er Geld von Ihnen wollte. Daß Sie ihn mal erwischt haben, wie er in Ihren Sachen gewühlt hat. Da wird man sauer, nicht?«
    »Nein«, sagte Hollstein. Noch einmal fragte er: »Was stellen Sie sich bloß vor?«
    Sie ging zum Fenster. Was sie sich vorstellte, waren dröhnende Bässe, zwei Hände, die sie hielten und ein rasender Rhythmus, der ihr Herz bezwang. Blumen in den Tanzpausen, Blumen auf einem schön gedeckten Tisch, eine Schüssel Spaghetti, eine Flasche Rotwein und später vielleicht noch ein Joint. Draußen umkreisten Motten das Laternenlicht, hier
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