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Sternenseide-Zyklus 3 - Sternenseide

Titel: Sternenseide-Zyklus 3 - Sternenseide
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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und ihr ganzer Leib schüttelte sich. Rasch holte Verra ihr eigenes Bettzeug und wickelte sie darin ein.
    Sie bereitete heiße Brühe und forderte Reyna auf, sie zu trinken. Aber selbst danach brauchte Reyna noch eine gewisse Zeit, das unwillkürliche Beben unter Kontrolle zu bekommen.
    Sie richtete sich auf und erkannte, daß Juaren sie von seinem Lager aus beobachtete; offenbar bemühte er sich noch immer darum zu verstehen, was geschehen war.
    »Birnam Rauth?« sagte er heiser.
    Reyna schauderte; sie wünschte sich, keinen Blick mehr in den bodenlosen Schacht ihres Kummers werfen zu müssen, so kurz er auch ausfallen mochte. »Wir mußten ihn verlassen«, sagte sie so sachlich, wie sie konnte. »Wir mußten ihn dort lassen. Und ich habe versprochen, nicht zurückzukommen. «
    Sie nahm einen Atemzug, und er klang wie ein Seufzer, dann streckte sie die Hände vor sich aus. Sie waren schmal und zerbrechlich; die Hände einer Palasttochter. Sie hatte sich nicht verwandelt. Sie hatte ihre Prüfung bekommen, und sie hatte sie zugleich bestanden und versagt. Sie hatte Juaren sicher aus dem Herz des Waldes zurückgebracht, aber Birnam Rauth im Stich gelassen. Und keines von beidem hatte sie verwandelt.
    Rasch zog sie die Decken über sich und verbarg sich vor all den Dingen, die sie noch immer nicht ins Gleichgewicht gebracht hatte: eine Erleichterung, die so stark war, daß sie glaubte, ihre Seele würde sie nicht verkraften, und ein Kummer, der ebenso heftig war. Morgen. Morgen war genug Zeit, diese Gefühle zu prüfen. Morgen war es früh genug, sie zu berühren und zu gestatten, daß sie von ihnen berührt wurde. Vielleicht konnte sie dann beides gutheißen, ihren Erfolg und ihr Versagen. Vielleicht konnte sie dann beides in die richtige Perspektive rücken und die Tatsache akzeptieren, daß sie das
    eine nicht ohne das andere haben konnte.
    Sie machte die Augen fest zu und wünschte sich ernsthaft den Schlaf herbei.
     

16 Reyna
    Reyna schlief traumlos, als wären alle Gedanken und alle Erfahrungen von ihr abgefallen und hätten sie sogar vom Kummer befreit zurückgelassen. Es war Mittag, als Verra sie rüttelte. »Reyna.«
    »Ich will nicht.« Reyna drehte sich auf die andere Seite und schlang das Bettzeug enger um sich; sie war nicht bereit aufzuwachen. Der Schlaf hatte nicht einmal angefangen, sie zu heilen. Ihr Körper schmerzte noch immer, ihre Augen brannten noch immer, und die Wunde ihres Versagens würde sich noch lange Zeit nicht schließen; vielleicht ihr ganzes Leben lang nicht. Juaren war nicht gestorben, aber sie hatte Birnam Rauth irgendwo im Herzen des Waldes zurückgelassen und sich verpflichtet, nicht seintwegen wiederzukommen. »Ich will nicht.«
    Aber Verra war hartnäckig. »Reyna ... es ist jemand hier für dich. Ich bin sicher, daß er zu dir will, weil er dich so anstarrt.«
    Reyna holte seufzend Luft und trat reizbar nach ihren Decken. Es war jemand da, der sie sehen wollte? Sie setzte sich auf, fuhr sich mit der Hand durchs Haar, bereit, wütend zu werden; mit Verra, die sie mit einem Trick wachbekommen hatte, und mit sich selbst, weil sie hereingefallen war.
    Als sie aufrecht saß, sah sie, wer gekommen war, um sie zu besuchen.
    Ein Spinner stand am Bach. Er starrte sie gleichmütig an, als wäre er angewiesen worden, hier zu warten, bis sie erwacht war. Seine runden Augen waren leer. Seine dicken Beine waren gekrümmt. Er hielt ein Paket im Arm, das fast so groß war wie er selbst. Als er gewahr wurde, daß Reyna wach war, ließ er das Paket fallen und watschelte schnell fort; bei seinem Rückzug kreischte er einmal auf.
    Verwundert und noch immer halb im Schlaf starrte Reyna auf das Paket, das er fallen gelassen hatte. Die äußere Hülle war aus elfenbeinfarbener Seide, durch Alter und Regen verblichen.
    »Verra ...«, sagte sie unsicher. Wie hatte der Spinner sie hier gefunden? Und was hatte er gebracht?
    »Du hast deine Stiefel nicht an. Laß es mich für dich holen.« Die Arnimifrau ging rasch zum Bachufer, holte das Paket und legte es Reyna in die Hände.
    Es war nicht schwer. Sein Inhalt ließ sich unter Reynas forschenden Fingern leicht zusammendrücken. Und er schien sehr lange nicht hervorgeholt worden zu sein. Reyna starrte darauf; sie biß sich auf die Lippe, und ihre Fingerspitzen prickelten unter dem ersten betäubenden Verdacht, was der Inhalt des Paketes sein mochte.
    Juaren war wach geworden; er saß mit gekreuzten Beinen inmitten seiner Decken und beobachtete die Szene
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