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Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied

Titel: Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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Bevor er seinen Mut ganz verlor, wandte er sich um und lief zur Plazatür.
    Er benötigte Zubehör: Halfter aus feinstem weißen Leder, aufwendig gewebte Zügel, ein besticktes Polster, um den Rücken der Weißmähne zu schützen. Danior hastete über die Plaza, die breiten Steinstraßen hinunter bis zu dem Pferch, wo die Sachen des Tieres aufbewahrt wurden. Dort steckte er Zügel, Halfter und Polster zusammen in einen leeren Getreidesack. Es überraschte ihn nicht zu sehen, daß seine Hände bebten. Wenn er auf der Weißmähne ritt, würde er nicht nur seine eigene Legende einleiten. Er würde ebenso einen Teil der Legende seines Vaters an sich reißen. Und obwohl er nicht glaubte, daß sein Vater wütend wäre, erschreckte ihn die Anmaßung doch, als hätte er sich eine Aufgabe vorgenommen, die sich als zu groß erweisen könnte.
    Er verschwendete nur einen Moment, um sich nach den anderen Ausrüstungsgegenständen umzusehen, und versuchte, sich zu beruhigen. Dort lagen der bestickte Kragen und der Umhang, den die Weißmähne trug, wenn sie zum Mittsommerfest auf der Plaza paradierte. Dort war der dicke Umhang, der am Dunkelmorgen über ihre Flanken herabfiel, um sie vor der Kälte der Berge zu schützen. Daneben hingen ein schwarzes Halfter und ein Zügel aus dickem schwarzen Leder, in das ein stilisiertes Muster eingraviert war.
    Seine Hände bebten noch immer. Danior schlüpfte rasch aus dem Pferch und lief die Steinwege hinab, über Dammkronen, fort vom Palast und allem, was mit ihm zusammenhing.
    Es war ein klarer, wolkenloser, strahlender Tag. Die Linsen auf den Berghängen blitzten auf und strahlten dicke Lichtbalken auf die großen Spiegel im Thronsaal. Danior machte eine Pause, um den starken Strahlen auf dem Weg zu ihrem jeweiligen Spiegel nachzublicken, dann hastete er weiter. Kamen Leute mit Werkzeugen und Geräten vorbei, wich er ihren Grüßen aus. Schließlich lagen die Felder hinter ihm. Das Gelände veränderte sich; als er sich der Bergflanke näherte, wurde der Boden steiniger.
    Noch blühten die Obstgärten nicht. Die Bäume waren mit fest zusammengerollten Knospen und jungen Blättern bedeckt, die raschelten, als Danior vorüberging. Das Gras unter den Bäumen war zart und hoch aufgeschossen. Hin und wieder stieß Danior auf Hufabdrücke, aber sie zeigten keinen Weg an, dem er folgen konnte. Er mußte aufs Geratewohl suchen. Einmal sah er ein Arnimischiff am fernen Himmel aufblitzen. Er verfolgte es mit den Augen, bis es verschwunden war, dann setzte er die Suche fort.
    Die Obstgärten waren ausgedehnt, doch dauerte es nicht lange, bevor er der Weißmähne ansichtig wurde, die in der Nähe eines Felsens graste, der sich auf der Weide erhob. Er blieb stehen und atmete unwillkürlich tief ein. Das seidige Gespinst der Mähne des Tieres, das glänzende, weiße Fell, die rosafarbene Transparenz der Augen – es gab auf Brakrath nichts Ergreifenderes als die Weißmähne. Sie war eine lebende Legende, eine Legende, die sich einem Mann ergeben hatte: seinem Vater. Jetzt mußte er einen Teil dieser Legende für sich benutzen – oder in die Leere des Palastes zurückkehren.
    Das Tier hörte seinen Schritt, als Danior sich erneut vorwärts bewegte, hob den Kopf und spitzte die Ohren. Es zog die Lippen zurück und zeigte seine starken weißen Zähne. Auf der Stirn trug es eine fünffingrige schwarze Blesse – das Zeichen seines Vaters. Danior wischte unwillkürlich die Handfläche an den Hosenbeinen ab und versuchte, seine Angst zu zähmen. In seinem Zimmer war es einfacher gewesen, an einen Ritt mit der Weißmähne zu denken, als hier.
    Er blieb wiederum stehen, um seine Nerven zu beruhigen. Sein Vater redete mit dem Tier, wenn er es striegelte, wenn er es fütterte, wenn er es ritt. Aber Danior ließen die Worte im Stich, und er näherte sich stumm der Weißmähne, seine Kehle war wie zugeschnürt. Das Tier strömte einen schwach herben Geruch aus, und sein Weiß war verwirrend. Danior hielt inne und rupfte eine Handvoll Gras aus. Er hielt er der Weißmähne hin.
    »Komm«, sagte er werbend. Seine Stimme kam sanfter heraus, als er beabsichtigt hatte, mehr Bitte als Befehl. Als bettele er um etwas, das das Tier ihm gewähren könnte.
    Die Weißmähne musterte das Grasbüschel; das Rosa in ihren Augen wurde tiefer. Danior atmete kaum noch. Wenn das Tier näher herankäme, würde er das Halfter und die Zügel aus dem Sack fallen und beides über den Kopf des Tieres gleiten lassen. Er hatte oft dabei
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