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Sterblich

Sterblich

Titel: Sterblich
Autoren: Thomas Enger
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ja?«
    »Er hat da einen Superjob geleistet und hier sofort im gleichen Stil weitergemacht. Ich weiß, dass TV 2 sich die Finger nach ihm leckt, aber bis jetzt verhält Iver sich noch loyal uns gegenüber.«
    »Klar. Dann ist auch sein Lohn entsprechend?«
    Heidi sieht ihn an, als hätte er in der Kirche laut geflucht.
    »Äh, darüber weiß ich eigentlich nichts Genaues, aber …«
    Henning nickt und tut so, als hörte er ihr zu. Er kennt die Argumente nur zu gut. Loyalität. Ein ungeheuer abgenutzter Begriff in ihrer Branche. Mit etwas gutem Willen kann er vielleicht zwei Personen nennen, auf die dieser Begriff zutrifft. Bei den anderen handelt es sich um Karrieremenschen, die, kaum dass sich die Chance bietet, von einer gut bezahlten Stellung zur anderen noch besser bezahlten wechseln, oder um komplett untalentierte Personen, die woanders ohnehin keinen Job bekommen würden. Wenn ein relativ unbekannter Journalist von VG Nett zur Konkurrenz wechselt und danach ein Angebot von TV 2 ablehnt, muss der Grund dafür finanzieller Natur sein. Es geht immer nur ums Geld.
    Er registriert Heidis Hoffnung, dass er mit Iver auskommen und Zugang zu ihm finden möge. Henning nickt und sagt »Hm«. Was das »Hm« angeht, ist er ein Profi.
    »Ihr könnt euch dann ja bei der Pressekonferenz vorstellen und eure nächsten Schritte abstimmen. Das ist eine ziemlich heftige Sache.«
    »Was ist eigentlich passiert?«
    »Meine Quelle sagt, das Opfer wäre gesteinigt worden. Sie ist in einem Zelt gefunden worden, halb eingegraben. Die Polizei kommt sicher mit einer Unmenge Theorien. Bei so einem Fall denkt man ja immer gleich an einen anderen kulturellen Background.«
    Er nickt und denkt, dass er von solchen Gedanken, die sich einem vorschnell aufdrängen, noch nie viel gehalten hat.
    »Halte mich bitte über eure Aktivitäten auf dem Laufenden, ja?«, sagt sie. Er nickt wieder und wirft einen Blick auf das noch eingeschweißte Notizbuch auf seinem Schreibtisch. Mit geübter Handbewegung reißt er das Plastik herunter und testet einen der vier Stifte, die daneben liegen. Ohne Erfolg. Dann probiert er auch die anderen drei aus.
    Verflucht.

6
    Es ist nicht weit von der Urtegata bis zum Polizeipräsidium in Oslo-Grønland, in dem die Pressekonferenz stattfinden soll. Er nimmt sich viel Zeit und bewegt sich langsam durch die Straßenzüge, die Chefredakteur Sture Skipsrud nach dem Umzug von 123nyheter hierher als das neue Pressemekka bezeichnet hat. Henning erinnert sich, dass diese Äußerung ihm damals gefallen hat. Nettavisen ist dort untergebracht, Dagens Næringsliv hat ganz in der Nähe ein hypermodernes Gebäude, und Mekka selbst nimmt in den meisten Wohnungen ringsherum einen wichtigen Platz ein. Mal abgesehen von den asphaltierten Straßen und der Lufttemperatur könnte man ebenso gut in Mogadischu sein. Hinter jeder Hausecke schlägt einem der Duft unzähliger Kräuter und orientalischer Gewürze entgegen.
    Henning erinnert sich an das letzte Mal, als er auf dieser Straße war. Damals hatte sich ein Typ umgebracht, kurz nachdem er ihn interviewt hatte, sodass sowohl die Polizei als auch die Angehörigen wissen wollten, ob er ihn durch sein Interview in den Selbstmord getrieben hatte.
    Henning erinnert sich gut an ihn. Paul Erik Holmen war damals etwas über vierzig gewesen. In der Firma, in der er arbeitete, waren auf geheimnisvolle Weise mehr als zwei Millionen Kronen aus der Firmenkasse verschwunden. Henning hatte in seinem Interview unmissverständlich angedeutet, dass die Renovierungsarbeiten in Holmens Sommerhaus im Eggedal und die extravagante Ferienreise, die er gerade gemacht hatte, eigentlich für sich sprachen. Natürlich hatte er damals eine verdammt gute Quelle gehabt. Holmen war offensichtlich an seinem schlechten Gewissen und der Angst vor einer möglichen Verhaftung zerbrochen, worauf Henning in einem der zahlreichen Vernehmungszimmer im Präsidium gelandet war.
    Sie hatten ihn schnell wieder gehen lassen, aber der eine oder andere missgünstige Kollege hatte es sich nicht verkneifen können, wenigstens ein paar Zeilen über seine Rolle bei der Tragödie zu Papier zu bringen. Was okay war, einen gewissen Informationswert hatte die Sache ja schon, auch wenn Holmen aller Wahrscheinlichkeit nach auch ohne dieses Interview in die Tiefe gesprungen wäre. Dummerweise hatten solche Meldungen die Tendenz, ewig an einem haften zu bleiben.
    Das Gedächtnis der Menschen ist bestenfalls selektiv, wenn nicht ganz einfach
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