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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte
Autoren: Hans Bemmann
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euch befohlen wird? Tut, was er gesagt hat! Von heute an gelten seine Befehle gleich wie die meinen.«
    Jetzt eilten die Diener herbei und räumten hastig den Tisch ab. Gisa stand auf und sagte: »Komm mit mir. Du mußt noch viel lernen. Ich werde dir zeigen, welche Lust es ist, Herr auf Barleboog zu sein.« Sie führte ihn in ein Schlafgemach, wo sie ohne Zögern die Kleider ablegte. Als Lauscher sie nackt vor sich stehen sah, meinte er, noch nie in seinem Leben etwas so Verlockendes gesehen zu haben. Wie verzaubert schaute er sie an, bis Gisas Lachen ihn aus der Erstarrung riß. »Bin ich die erste Frau, die du so siehst?« fragte sie, »oder schämst du dich, nackt vor mir zu stehen?«
    Lauscher wußte, daß beides zutraf. Aber das wollte er nicht eingestehen. Mit fliegenden Händen löste er die Knöpfe und Haken seiner Kleider, bis er nichts mehr am Leibe hatte als den Lederbeutel mit dem Augenstein.
    »Lege auch das noch ab«, sagte Gisa. »Zwischen uns darf nichts sein außer unserer Haut.«
    So streifte Lauscher auch noch die Schnur über den Kopf und warf den Beutel zu seinen Kleidern auf den Boden.
    »Haarig bist du wie ein richtiger Mann«, sagte Gisa lachend. »Nun komm zu mir, damit ich einen aus dir mache.«
    Und so umarmte Lauscher in der ersten Nacht, die er auf dem Schloß verbrachte, die Herrin von Barleboog und schlief bei ihr bis zum Morgen.
    Als Lauscher sich am Morgen des nächsten Tages ankleidete, konnte er den Beutel mit dem Augenstein nicht finden.
    »Suchst du etwas?« fragte Gisa.
    »Ja«, sagte Lauscher. »Weißt du, wo der Beutel geblieben ist, den ich um den Hals getragen habe?«
    »Die Diener werden den alten Plunder weggeräumt haben«, sagte Gisa gleichgültig. »Komm mit mir, ich zeige dir schönere Steine.«
    Lauscher war traurig über den Verlust des Steines, aber er vergaß seine Traurigkeit rasch, als er Gisa in die Augen blickte. War das der Glanz, der Schimmer, nachdem er gesucht hatte? Oder waren die Farben des Augensteins doch anders gewesen?
    »Träume nicht und komm endlich!« sagte Gisa ungeduldig. Da schüttelte er seine Gedanken ab und lief ihr nach hinunter in den Hof zu den Pferden.
    Sie ritten zum Fluß, der am oberen Ende des Tals aus einer Gebirgsschlucht hervorbrach. Die Strecke bis zur Talmitte schoß er zwischen steilen Ufern in reißender Strömung dahin wie ein Gebirgsbach und ergoß sich unterhalb des Schlosses in einen fast kreisrunden Tobel, in dem sich das schäumende Wasser in Wirbeln drehte. Hier hielt Gisa ihr Pferd an. Eine Gruppe von nackten, braungebrannten Männern war damit beschäftigt, in die reißende Strömung hinabzutauchen, um irgend etwas vom Grund heraufzuholen.
    »Was tun sie?« fragte Lauscher.
    »Du wirst schon sehen«, sagte Gisa, stieg ab und trat zu einem Mann, der die Taucher offenbar zu beaufsichtigen hatte. Er trug einen struppigen Wolfspelz und blickte die Herrin aus gelblichen Augen mit einer Ergebenheit an, die Lauscher an einen Hund erinnerte.
    »Wie ist die Ausbeute?« fragte ihn Gisa. Wortlos hob er einen Leinenbeutel vom Boden und schüttete den Inhalt auf ein Tuch. Da rollten blutrote Rubine, tiefblaue Saphire, goldgelbe Topase; blankgewaschen vom Wasser und noch feucht, glitzerten sie in der Morgensonne.
    »Nimm, was dir gefällt!« sagte Gisa zu Lauscher. »Und vergiß das wertlose Ding, das du verloren hast.«
    In diesem Augenblick gellte ein Schrei von der Uferböschung. Die nackten Männer liefen hinunter und sprangen ins Wasser. Gleich darauf zogen sie einen leblosen Körper an Land. Gisa trat hinzu und fragte: »Was ist mit ihm?«
    »Er ist zu lange unten geblieben, Herrin«, sagte der Aufseher.
    »Dann ist er selbst schuld an seinem Tod, der Tölpel«, sagte Gisa. »An die Arbeit! Steht nicht länger herum!«
    Die Männer ließen den Toten im Gras liegen und fingen wieder an zu tauchen. Lauscher betrachtete das bleiche Gesicht des Ertrunkenen. Es war ein junger Mann mit krausem, schwarzem Haar. Seine gebräunte Haut hatte eine fahlgelbe Farbe angenommen.
    »Er hat sein Leben für deine Steine geopfert«, sagte Lauscher. »Warum beschimpfst du ihn?«
    »Sein Leben gehörte mir, und er hat es leichtfertig aufs Spiel gesetzt«, sagte Gisa schroff.
    »Du bist hart«, sagte Lauscher.
    »Wenn du herrschen willst, mußt auch du hart werden«, erwiderte Gisa. »Willst du nicht Herr auf Barleboog und mein Bettgenosse sein? Sei hart bei Tage und sanft in der Nacht. Das eine ist ohne das andere nicht zu bekommen. Willst du
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