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Staub

Staub

Titel: Staub
Autoren: Patricia Cornwell
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bedeutet, schiebt er es sofort aufs Rauchen, das er schrecklich vermisst. Er ist traurig und aufgebracht, weil ihm die Zigaretten fehlen. Das Herz tut ihm weh, und er fühlt sich tief in seinem Innersten erschüttert, weil er weiß, dass er nie mehr wieder so rauchen können wird wie früher. Es ist unmöglich. Er hat sich etwas vorgemacht, als er glaubte, er könnte sich hin und wieder eine Zigarette gönnen, doch diese Hoffnung war eine Illusion. Seine unstillbare Gier nach Tabak und seine verzweifelte Liebe zu ihm ist Wahnwitz und ohne Zukunft. Marino wird schlagartig von Trauer ergriffen, weil er nie wieder eine Zigarette anzünden, tief inhalieren und den Rausch empfinden wird, diese Glückseligkeit, die seinen ständigen Begleiter, den Schmerz, lindert. Es schmerzt, wenn er aufwacht, es schmerzt, wenn er sich schlafen legt, es schmerzt in seinen Träumen, und es schmerzt, wenn er hellwach ist. Er blickt auf die Uhr, denkt an Scarpetta und fragt sich, ob ihr Flug wohl Verspätung hatte. Heutzutage haben ja die meisten Flüge Verspätung.
    Marinos Arzt hat ihn gewarnt, dass er mit sechzig einen Sauerstofftank auf dem Rücken tragen würde wie ein Indianerbaby, wenn er so weiterrauchte. Irgendwann wird er dann nach Luft schnappend sterben wie die arme Gilly, die nach Atem rang, als dieser Verrückte auf ihr saß und ihr die Hände festhielt. Voller Panik lag sie unter ihm, während jede Zelle in ihrer Lunge nach Luft schrie und ihr Mund versuchte, nach Mama und Papa zu rufen. Aber Gilly konnte keinen Mucks von sich geben. Und was hat sie getan, um einen solchen Tod zu verdienen? Nichts, denkt Marino, während er die Zigarrenkisten in den dunklen Regalen dieses kühlen und duftenden Tabakladens für Reiche betrachtet. Wahrscheinlich steigt Scarpetta gerade ins Flugzeug, sagt er sich und entdeckt die Kistchen mit Romeo-y-Julieta-Zigarren. Wenn der Flug keine Verspätung hat, sitzt sie vermutlich schon in der Maschine, die nach Westen, nach Denver, fliegt. Nach Scarpettas Entdeckung in ihrem alten Gebäude haben sie verabredet, dass Marino noch diesen einen Auftrag in Richmond erledigt, während sie schon mal vorfliegt.
    »Sagen Sie Bescheid, wenn ich Ihnen helfen kann«, sagt ein Mann in grauem V-Ausschnitt-Pullover und brauner Cordhose hinter der Theke. Die Farbe seiner Kleidung und sein graues Haar erinnern Marino an Rauch. Der Mann arbeitet in einem Tabakladen voller Rauchwaren und hat die Farbe von Rauch angenommen. Wahrscheinlich geht er am Ende des Arbeitstags nach Hause und qualmt nach Herzenslust, während Marino allein in ein Hotelzimmer zurückkehrt und sich nicht einmal eine anzünden, geschweige denn Rauch inhalieren darf. Inzwischen kennt er die Wahrheit. Er weiß es. Er muss verzichten. Er hat sich etwas vorgemacht und sich eingeredet, dass es doch einen Ausweg gibt, und er wird von Trauer und Scham ergriffen.
    Marino holt die Quittung aus der Jackentasche, die Scarpetta auf dem mit Knochenstaub bedeckten Boden in der Anatomieabteilung ihres alten Gebäudes gefunden hat. Das Stück Papier steckt in einem durchsichtigen Plastikbeutel. Er legt es auf die Theke.
    »Wie lange arbeiten Sie schon hier?«, fragt Marino den Mann hinter der Theke.
    »Bald zwölf Jahre«, erwidert er lächelnd. Doch in seinen rauchgrauen Augen steht ein gewisser Blick. Marino erkennt Angst und tut nichts, um sie zu zerstreuen.
    »Dann kennen Sie sicher Edgar Allan Pogue. Er war am 14. September dieses Jahres hier und hat diese Zigarren gekauft.«
    Stirnrunzelnd beugt der Mann sich vor und mustert das Stück Papier in der Tüte. »Die Quittung ist von uns«, stellt er fest.
    »Gratuliere, Sherlock. Ein kleiner, rundlicher Typ mit rotem Haar«, fährt Marino fort und macht auch weiterhin nicht die geringsten Anstalten, den Mann zu beruhigen. »Mitte dreißig. Hat früher drüben in der Gerichtsmedizin gearbeitet.« Er weist auf die Fourteenth Street. »Wahrscheinlich hat er sich komisch benommen, als er hier war.«
    Der Mann wirft einen Blick auf Marinos LAPD-Baseballkappe. Er ist bleich und nervös. »Wir verkaufen keine kubanischen Zigarren.«
    »Was?« Marino verzieht finster das Gesicht.
    »Falls das Ihre Frage ist. Er könnte welche verlangt haben, aber so etwas führen wir nicht.«
    »Er kam rein und hat kubanische Zigarren verlangt?«
    »Er war sehr beharrlich, vor allem bei seinem letzten Besuch«, antwortet der Mann stockend. »Aber wir führen keine kubanischen Zigarren und auch sonst nichts Illegales.«
    »Das habe ich
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