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Staub

Staub

Titel: Staub
Autoren: Patricia Cornwell
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ihm die Kopfhaut zurückgeschoben, sodass es aussah, als runzle er die Stirn und litte Schmerzen. Und jetzt versuchen Sie mal, das und die Handschellen seiner Familie in Mississippi zu erklären, und zwar im allertiefsten Mississippi, wo Army-Klamotten normal sind und schwule Männer nicht.«
    »Ich war noch nie in Mississippi«, antwortete Dr. Marcus gleichgültig, als wollte er damit ausdrücken, dass ihn weder der Erhängte noch sonst irgendeine Tragödie, die keine direkten Auswirkungen auf sein Leben hatte, interessierte.
    »Ich würde Ihnen ja gern helfen«, meinte Scarpetta, während sie eine noch unangebrochene Flasche naturtrübes Olivenöl öffnete, obwohl das nicht unbedingt jetzt hätte sein müssen. »Aber es ist vermutlich keine gute Idee, wenn ich mich in einen Ihrer Fälle einmische.«
    Sie war wütend, gestand es sich aber nicht ein, als sie in ihrer großen, gut ausgestatteten Küche mit den Geräten aus Edelstahl, den Arbeitsflächen aus poliertem Granit und den großen, hellen Fenstern, die einen Blick auf den Intracoastal Waterway boten, umherging. Sie ärgerte sich wegen Aspen, wollte es sich jedoch nicht eingestehen. Und obwohl sie wütend war, wollte sie Dr. Marcus nicht durch einen Wink mit dem Zaunpfahl darauf hinweisen, dass er nun die Vorzüge eben des Postens genoss, den man ihr weggenommen hatte. Das war auch der Grund, warum sie Virginia verlassen hatte, und sie hatte eigentlich nicht vor, je dorthin zurückzukehren. Aber sein langes Schweigen ließ ihr keine Wahl, als weiterzusprechen und ihm zu erklären, dass sie nicht in aller Freundschaft aus Richmond fortgegangen sei, was er doch sicher wisse.
    »Kay, das ist doch schon lange her«, erwiderte er. Sie hatte sich für die professionelle und respektvolle Anrede Dr. Marcus entschieden, und nun nannte er sie einfach Kay. Es erschreckte sie selbst, dass sie das als beleidigend empfand. Aber dann sagte sie sich, dass er nur eine freundschaftliche und persönliche Atmosphäre schaffen wollte, während sie überempfindlich und übertrieben reagierte. Sie fragte sich, ob sie nur neidisch auf ihn war und sich wünschte, dass er scheiterte, und schalt sich im nächsten Moment wegen ihrer eigenen Kleinlichkeit. Es war doch nur verständlich, dass er sie Kay und nicht Dr. Scarpetta nannte, hielt sie sich vor Augen, obwohl ihr Gefühl das Gegenteil sagte.
    »Wir haben inzwischen eine andere Gouverneurin«, fuhr er fort. »Vermutlich weiß sie gar nicht, wer Sie sind.«
    Nun deutete er an, Scarpetta sei so unwichtig und unbedeutend, dass sie der Gouverneurin sicherlich kein Begriff wäre. Dr. Marcus hatte sie schon wieder beleidigt. Unsinn, rief sie sich sofort zur Ordnung.
    »Bei unserer neuen Gouverneurin dreht sich alles um unser augenblickliches Haushaltsdefizit und um die vielen potenziellen terroristischen Angriffsziele, die wir hier in Virginia bieten …«
    Scarpetta konnte sich selbst ihre negative Haltung gegenüber ihrem Nachfolger nicht verzeihen. Schließlich bat er sie nur um Hilfe in einem schwierigen Fall. Warum hätte er sich nicht an sie wenden sollen? Schließlich kam es nicht selten vor, dass Manager, die von einem Großkonzern gefeuert wurden, später als Experten und Berater gefragt waren. Außerdem würde sie ja, wie sie sich vor Augen hielt, ohnehin nicht nach Aspen fahren.
    »… Atomkraftwerke, unzählige Militärstützpunkte, die FBI-Akademie, ein nicht unbedingt geheimes CIA-Ausbildungslager, die Bundesbank. Also werden Sie keine Probleme mit der Gouverneurin kriegen, Kay. Dazu ist sie viel zu ehrgeizig. Außerdem steht sie mit einem Bein eigentlich schon in Washington und kümmert sich nicht darum, was sich in meinem Büro tut«, fuhr Dr. Marcus in seinem weichen Südstaatenakzent fort und versuchte Scarpetta die Befürchtung auszureden, dass es Kontroversen auslösen oder Aufmerksamkeit erregen könnte, wenn sie, fünf Jahre nachdem sie aus der Stadt gejagt worden war, wieder hier einzog. Allerdings überzeugte er sie nicht wirklich, weil ihre Gedanken nun in Aspen und bei Benton waren. Benton war dort oben in Colorado, und sie steckte hier in Florida, allein. Deshalb hatte sie nun plötzlich auch jede Menge Zeit totzuschlagen und konnte genauso gut auch einen neuen Fall annehmen.
    Scarpetta biegt langsam um die Ecke des Häuserblocks, der in einer Phase, die ihr inzwischen endgültig abgeschlossen erscheint, ihr Lebensmittelpunkt gewesen ist. Staubwolken steigen auf, als Maschinen sich wie riesige gelbe Insekten auf
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