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Staub zu Staub

Staub zu Staub

Titel: Staub zu Staub
Autoren: Olga A. Krouk
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zwanzig.
    „Ja. Danke“, flüsterte sie verlegen und drehte ihr Gelenk, das sich mit einem schmerzenden Ziehen meldete. Der Mann umschloss noch immer ihre Oberarme und forschte in ihren Augen. Im lieblichen Klang der Geige stiegen tiefere Töne auf und brachten Unruhe. Mirjam trat zurück. „Kann ich Ihnen helfen?“ Sie zog ihre Uniform zurecht.
    „Entschuldigung“, lispelte er und wischte die Handflächen an der ausge-blichenen Jeans ab wie ein Teenager, der nicht weiß, wohin mit den Händen. „Ich wollte zu Frau Born.“ Mirjam schmunzelte. Wenn sie Carsten Born mit seinen leicht hervorstehenden Vorderzähnen und kurzem, dunkelblondem Haar sah, dachte sie an einen Hasen. Die benötigte Distanz wollte sich nicht einstellen. „Ich weiß“, schob er schnell hinterher, „es ist schon sehr spät für Besucher, aber ich bin erst vor zwei Stunden in Hamburg angekommen. Und morgen Früh muss ich wieder auf die Reise.“
    „Gehen Sie ruhig.“ Mirjam lächelte und wischte sich eine ihrer dunklen Haar-strähnen zur Seite. „Ihre Mutter wird sich freuen.“
    Sein Gesicht erstrahlte. Er nickte und eilte davon, drehte sich aber nach ein paar Schritten um und hauchte ein ‚Danke’.
    Sie begann, die Wäsche aufzusammeln, nicht ohne ihn von der Seite zu beobachten. Wenn jeder Sohn sich so um seine Mutter kümmern würde, wie viel heller wäre dann manches Leben.
    „Hm-hm!“, schallte es durch den Flur.
    Kristin stand mitten im Gang. Die Hände in die Hüften gestemmt, versperrte sie Carsten den Weg wie ein Felsen, an dem sich Wellen brechen.
    „Wie Sie selbst bemerkt haben“, herrschte sie ihn an, „ist es schon zu spät für Besuche.“
    Als wäre er beim Falschparken erwischt worden, trat Carsten von einem Fuß auf den anderen und schaute zu dem Koloss auf.
    „Aber … wissen Sie …“ Ein kläglicher Versuch des Häschens, sich vor dem Bären zu beweisen.
    Kristin betrachtete ihn von Kopf bis Fuß. Für einen Moment wurden ihre Gesichtszüge weicher, während die Geige von Harmonie sang, doch als die Melodie sich in ein rasantes Presto entlud, setzte sie ihren herrischen Ausdruck auf.
    „Kommen Sie morgen. Von elf bis fünfzehn Uhr.“
    „Verstehen Sie bitte, morgen Früh fahre ich schon weg.“ Die Aussichtslosigkeit seines Vorhabens berührte Mirjam. Auf einmal hatte sie den Wunsch, ihn in den Arm zu nehmen und zu trösten.
    „Nicht ich habe die Regeln aufgestellt.“
    „Aber …“
    Kristin seufzte müde. „Hören Sie, ich bin heute seit elf Stunden im Dienst. Mit Ihnen zu diskutieren habe ich weder Lust noch Kraft.“
    Mirjam stellte sich zwischen den Mann und die Pflegerin, als würde sie ihren Sprössling vor einem Grobian beschützen wollen, auch wenn sie Kristin gerade mal bis zur Brust reichte.
    „Was tust du da?“, fauchte sie, selbst überrascht von diesem Anflug von Courage. „Du weißt selbst, wie selten er seine Mutter besuchen kann. Vielleicht ist er erst in ein paar Monaten wieder in Hamburg.“
    Kristin blickte auf sie herab und brach in Gelächter aus. „Was soll das werden? Ein Aufstand der Zwerge? Mirjam, du machst hier nur dein freiwilliges soziales Jahr, ich bin die Festangestellte. Was meinst du, wem die Oberschwester den Kopf abreißen wird?“
    „Wer soll es ihr denn sagen? Wir sind allein auf der ganzen Etage!“
    „Mag sein.“ Über Mirjams Schulter sah Kristin zu dem jungen Mann. „Herr Born, kommen Sie bitte innerhalb der Besuchszeit wieder.“ Ihr Tonfall wurde weicher. „Es tut mir Leid.“
    Betont langsam, als hege er die Hoffnung, dass Kristin es sich doch noch anders überlegen würde, schlich er zur Treppe.
    „Herr Born … Carsten!“ Mirjam wollte ihm hinterher eilen, doch Kirstin versperrte ihr in den Weg. Wie konnte sie bloß so herzlos sein? Alles in Mirjam rebellierte, während sie hilflos dem armen Mann nachsah. Erst als die Ausgangstür zuschlug, fand sie wieder Worte. „Das ist einfach unmenschlich.“
    Kristin wickelte eine ihrer karottenfarbenen Locken um einen Finger. „Du magst den lispelnden Burschen, was?“
    „Bitte?“
    „Schon gut.“ Sie ließ ihre Strähne los und winkte ab. „Vielleicht ist es besser so. Letztes Mal hat die Alte ihre Schnabeltasse nach ihm geworfen.“
    Mirjam fragte sich, ob Carsten seine Mutter wiedersehen würde, bevor sie zu atmen aufhörte. Kristins Hand legte sich auf ihren Unterarm, feucht wie ein toter Fisch.
    „Ach, vergiss es einfach. Schaust du bitte nach Preschke? Er ist heute nach diesem komischen
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