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STASIRATTE

STASIRATTE

Titel: STASIRATTE
Autoren: Jana Döhring
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wurde quer durch den asiatischen Raum und die Speisen, die für unsere Gaumen so neu und fremdartig waren, schmeckten vorzüglich. Die Preise waren es auch. Denn die Zutaten mussten auch für harte Währung eingekauft werden. Man hatte den Chefkoch sogar ein Vierteljahr durch Asien reisen lassen, um sich Anregungen für die Speisekarte zu holen. Glücklicherweise war der Mann zurückgekommen, um sein Können im einzigen Restaurant dieser Art seinen siebzehn Millionen Landsleuten nach und nach unter Beweis zu stellen.
    Ein weiteres außergewöhnliches Plätzchen war die Hallenbar des Hotels. Sie stand allen Währungen offen und war damit nicht nur ein interner Umschlagplatz für Getränke und Snacks, sondern wurde von vielen Glücksrittern auch als externer Umschlagplatz für knappe Waren aller Art und so manche Dienstleistung wahrgenommen.
    Durch eine glückliche Fügung zählte ich zwei Jahre nach meiner Einstellung im Spreehotel zum sozialistischen Kollektiv dieser Bar.
    * * *
    Die Weihnachtszeit ist vorüber und ein kurzer Wintereinbruch mit Kälte und Glatteis begleitet uns in den Januar. Lei-der sind nun auch zwei Wochen Urlaub vorbei und es geht ins neue Jahr und wieder ins Büro. In den zurückliegenden Tagen habe ich viel darüber nachgedacht, was ich in Sachen Gerry unternehmen soll. Und noch etwas beschäftigt mich: Soll ich es Mike erzählen und was würde dann passieren? Es hatte genug gemütliche Abende mit Geplauder und Wein gegeben und auch einige Momente, da fehlte nur noch ein kleines Stückchen Mut und ich hätte mich offenbart. Aber die Zeit war wohl noch nicht reif oder der Wein zu wenig gewesen.
    Doch das Abwarten hat sich nicht gelohnt.
    An einem Nachmittag Mitte Januar des neuen Jahres muss ich nach dem Heimkommen zuerst den Neuschnee vom Dach des Briefkastens wischen, damit sich beim Öffnen die Lawine nicht in die Post ergießt. Natürlich trete ich dem Briefkasten nun nicht mehr unvoreingenommen gegenüber und ich beeile mich auch jetzt nicht, ihn von der weißen Last zu befreien. Das Schlüsselloch ist auch ein wenig vereist und ich muss mehrfach ansetzen, bevor der Schlüssel ins Loch passt. Ich schließe auf, ziehe an der Tür und er spuckt mir doch tatsächlich eine neue Büßerkarte in die Hände. Ich will es gar nicht wahrhaben und werfe sie in einer ersten Regung in den Schnee. Lautlos fällt sie auf den Boden und bleibt mit der beschriebenen Seite nach oben liegen.
    Gerry hat sich etwas Neues, zugegebenermaßen Originelles einfallen lassen, was mich allerdings nur mäßig amüsiert. Die Karte ist gewissermaßen eine kleine DDR-Fahne,schwarzrot-gold mit Hammer und Zirkel im Ährenkranz. Schön bunt und grell und unverwechselbar. Quer über das Textfeld steht geschrieben: „Meinem Stasispitzel, Cornelia Astrid, einen Januargruß!“
    Erst Weihnachtskarte, jetzt Januargruß ... in derselben Sekunde, als ich ihn lese, schwant es mir. Januar, aha. Das heißt doch nicht etwa, dass auf die Januarkarte die Februarkarte folgt, dann die Märzkarte, dann die Aprilkarte und immer so weiter. Ich ahne langsam, worauf das Ganze hinauslaufen soll. Die Strafe, die er sich für mich ausgedacht hat, soll eine ständig wiederkehrende Mahnung an mich sein. So sind auch die Chancen größer, dass meine Familie oder ein Nachbar, der im Urlaub den Briefkasten leert, eine Karte findet. Kann er das wollen?
    Ich stelle mir vor, welche Folgen dies hätte: Würden die Nachbarn mir die Karte inmitten weiterer Post verstohlen überreichen, so als hätten sie nichts bemerkt? Und dann? Würden sie darauf warten, dass ich mich selbst erkläre? Und wenn nicht? Und meine Familie? Gerry wird sich Gedanken darüber machen, ob ich mich ihr gegenüber offenbart habe, natürlich. Zu welchem Ergebnis wird er gekommen sein?
    Ich hatte es noch nicht getan, immer noch in Angst vor den Folgen. Und die Verdrängung funktionierte ja bisher perfekt.
    Wie hätten sich die Dinge wohl entwickelt, wenn ich nicht nach zwei Jahren vom Bankett- und Kongresszentrum, in dem wir in einem großen Kollektiv große Anstrengungen gemeinsam bewältigen mussten, in die kleine exklusive Bar gewechselt wäre, die an exponierter Stelle lag und individuelles Arbeiten und deutlich mehr Verdienstmöglichkeiten bot? Ich war damals sehr überrascht, dass man mich dort haben wollte, und natürlich sehr stolz. Eigentlich hatte ich gerade beschlossen, mich aus Berlin zu verabschieden, um einer neuen Liebe in die Berge zu folgen.
    * * *
    An meinem ersten
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