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STASIRATTE

STASIRATTE

Titel: STASIRATTE
Autoren: Jana Döhring
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mein Opa sie zur Witwe gemacht hatte, war sie in den Siebzigern nach Westberlin übergesiedelt. Seitdem verpflegte sie unsere Familie mit allem, was der Arbeiter- und Bauernstaat nicht zu bieten hatte. Einzig Bestellungen in Sachen Bekleidung waren heikel, war doch meine Oma in Geschmacksfragen nicht mehr ganz so stilsicher und sprach hier der Preis das gewichtigste Wort. Aber an die braune Kunstlederjacke mit den breiten Fellaufschlägen konnte ich mich relativ schnell gewöhnen und auch diverse Pullover und Blusen brachten frische Farbe und Form ins sozialistische Einheitsgrau.
    Ich konnte es meiner Oma gut verzeihen, dass ich durch sie nicht Palastkellnerin geworden war, und versuchte es nun ganz in der Nähe, im Spreehotel. Da dort gerade viel Personal im Bankettbereich gesucht wurde, verhielten sie sich deutlich weniger zimperlich und nahmen mich trotz West-Oma.
    Das Hotel war ein ungewöhnlicher Bau für Ostberlin. Eine zweiflügelige Anlage mit einer Sandsteinfassade, die sich im Norden an die Spree schmiegte. Der Berliner Dom spiegelte sich in den getönten Glasfenstern. Das Spreehotel, das ein schwedisches Bauunternehmen nach den Plänen eines einheimischen Architekten Ende der siebziger Jahre errichtet hatte, zog mit seinem hierzulande ungewohnten Luxus die Aufmerksamkeit der Bevölkerung auf sich. Auf sechs Stockwerke verteilten sich 400 Zimmer. Entlang der Straßenfront gab es Geschäfte und Restaurants. Im Innenhof, der zur Eingangshalle führte, war ein kleiner Gehölzgarten angelegt, in dessen Mitte beschaulich ein Springbrunnen plätscherte.
    Ging man hinein, betrat man eine andere Welt. Eine Welt, in der es Farben gab und in der Baumaterialien wie Kupfer, Aluminium und verschiedene Hölzer verwendet worden waren. Eine großzügige Architektur mit viel Glas und Marmor beeindruckte die Besucher, die sonst überwiegend Waschbeton und Spanplatten gewohnt waren. Es glitzerte und blinkte allein schon aus der riesigen Deckenleuchte, die mit Hunderten von Glühlampen bestückt über der weitläufigen Freitreppe aus Sandstein hing, die von der Straßenseite in die Lobby hinaufführte. Die ungewöhnlich luxuriöse Ausstattung setzte sich in der Einrichtung der Restaurants und Bars fort. In der Lobby fanden sich großzügige Sitzgruppen aus Leder, die Halle war überdies üppig mit exotischem Grün dekoriert, für dessen Pflege ein eigener Hausgärtner sorgte. So ging es weiter im Fitnesscenter, das zu auslastungsschwachen Zeiten auch den Angestellten zur Verfügung stand, wovon wir reichlich Gebrauch machten. Vom Schwimmbecken konnte man in den hügeligen kleinen Park sehen, der zum Haupteingang führte. Die Wände des Saunabereichs waren mit Mosaikfliesen in verschiedenen Blau- und Brauntönen verkleidet. Die ungewohnt opulente Einrichtung brachte es gelegentlich mit sich, dass hemmungslose Bürger mit dem Abbau der Edelstahlarmaturen dem Mangel im Sanitärhandel abhalfen und mit dem Erbeuteten das eigene Heim ausstatteten.
    Obwohl das Hotel nicht für die Arbeiter und Bauern des Staates, sondern von den Machthabern zum Eintreiben von Devisen erdacht worden war, erfüllten sich viele Menschen der Hauptstadt und der Umgebung hier ihre Sehnsucht nach Schönheit, Luxus und Weltläufigkeit. Um einmal ohne Anstehen Dinge wie frische Ananas, saftige Steaks oder Radeberger Pilsner zu genießen, bezahlten sie auch die unverschämten Preise.
    In diesem Haus sollten Geschäftsleute und Touristen aus dem Westen absteigen, weil man das Geschäft mit den Übernachtungen nicht länger nur den Hotels in Westberlinüberlassen wollte. Der Staat brauchte für den internationalen Han-del dringend Devisen und hier sprudelte eine neue Quelle.
    Der DDR-Bürger, mangels harter Währung vom Hotelbett gänzlich ferngehalten, durfte sein Geld als zweitrangiger Gast zumindest in einigen Restaurants und im Bankettzentrum ausgeben. Im französischen Restaurant dagegen wurden die Froschschenkel und der Champagner ausschließlich gegen Devisen verfüttert.
    Um am Samstagabend einen Tisch im besonders gefragten asiatischen Restaurant zu bekommen, war eine Reservierung von mindestens einem halben Jahr nötig. Die Belohnung aber war garantiert. Die Einrichtung imitierte einen asiatischen Stil mit Möbeln aus dunklem Holzrohr mit heller Stoffbespannung. Die Kellner trugen Mao-Jacken in Rostrot und die Kellnerinnen verschiedenfarbige Kimonos. Es gab asiatisches Reiskorngeschirr und die Bambusstäbchen ruhten auf Porzellanbänkchen. Gekocht
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