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STASIRATTE

STASIRATTE

Titel: STASIRATTE
Autoren: Jana Döhring
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einem plötzlich einfällt, dass man etwas sehr Wichtiges vergessen hat. Nein, dies hier war anders. Es kam nicht aus dem Hier und Jetzt, sondern aus dem Dunkel der Vergangenheit wie ein greller, schmerzhafter Blitz. Dieser Blitz schlägt dem Baum nicht nur einen Ast ab, er rast durch bis in die Wurzel.
    Ein Mittwoch im August vor drei Jahren beschert mir einen hochsommerlichen Feierabend. Die Sonne steht noch hoch am Himmel und die Gärten, an denen ich vorüberfahre, stehen in voller Blüte. Ich höre das gleichmäßige Brummen eines Rasenmähers.
    Mit Vorfreude auf einen Kaffee und die Zeitung auf der Terrasse parke ich in der Einfahrt neben dem Haus und gehe zum Briefkasten. Durch gestanzte Löcher im Blech des Kastens kann ich schon im Voraus sehen, ob Post gekommen ist und es sich überhaupt lohnt, ihn aufzuschließen. Da es schwach weißlich durch die Löcher scheint, nehme ich dieSchlüsseltasche aus meiner Handtasche, klappe sie auf und entwirre die unterschiedlich großen Schlüssel darin. Der kleinste ist es, den ich brauche.
    Etwas Werbung und ein kleiner weißer Briefumschlag kommen zum Vorschein. Auf die Reklame werfe ich einen kurzen Blick, aber es ist nichts von Interesse dabei, sodass ich die Sachen gleich in die Papiermülltonne werfe, die neben der Toreinfahrt ihren Platz hat. Nun wende ich mich dem Umschlag zu. Er ist handschriftlich adressiert. Eine ausgeprägte und beinahe elegante Handschrift ist es, die meinen Vor- und Zunamen und meine Adresse zu Papier gebracht hat. Sie kommt mir irgendwie bekannt vor. Nun, wenn ja, musste das lange her sein. Ich drehe den Umschlag um. Auf der Rückseite steht als Absender nur ein einziger Buchstabe, schön geschwungen und mit einem Punkt: G.
    G?
    Kenne ich eine Person, deren Vor- oder Nachname mit G anfängt? Ich überlege und krame in meinem Gedächtnis. Wer kann das sein? Der Umschlag ist mir nicht ganz geheuer. Ich grübele, drehe und wende ihn. Langsam frage ich mich, ob es überhaupt gut ist, ihn bekommen zu haben. Ach Unsinn, ist aber schon mein nächster Gedanke. Was soll schon drin sein? Aber wer ist G. und was will G.?
    Schließlich nehme ich Brief und Schlüssel und gehe ins Haus. Ich bin an diesem Nachmittag allein und niemand von meiner Familie würde so bald nach Hause kommen. Im Flur ziehe ich mir Schuhe und Jacke aus und gehe geradewegs in die Küche. Von hier aus kann ich in den blühenden Garten sehen. Seit wir hier wohnen, hat er sich immer mehr zum Experimentierfeld und beruhigenden Hobby entwickelt.
    Von der Küche gelangt man auf die Terrasse. Dort stehen Tisch und Stühle, ein Keramikofen, der für Wärme nach Sonnenuntergang sorgt, der Grill und einige Blumenkübel.Eigentlich wollte ich mich gleich hier fallen lassen, nun steht aber der merkwürdige Brief im Zentrum meines Interesses.
    Es ist nun Zeit, ihn endlich zu öffnen. Ich lege den Umschlag auf den Küchentisch, schlitze ihn mit einem Küchenmesser der Länge nach auf und ziehe ein Blatt Papier heraus. Meine Hände sind kalt und ein bisschen feucht, als ich das Blatt auseinanderfalte. Schon beim ersten Überfliegen zucke ich zusammen. Ich lese die paar eilig hingetippten Schreibmaschinenzeilen gleich noch einmal und noch einmal. Es ist so unglaublich ... ich muss mich irren. Ich starre auf die Buchstaben, die sich aber nicht verändern. Die Worte bewegen den Boden unter meinen Füßen. Mir wird schlecht. Nein, es gibt keinen Irrtum, hier liegt keine Verwechslung vor. Dieser Brief ist an mich gerichtet und er spricht von mir.
    Ganz langsam, schwer wie ein Mehlsack, sacke ich auf einen Küchenstuhl. Mein Inneres entfernt sich aus dieser Küche, aus dieser Gegenwart. Würde der Küchenschrank neben mir zusammenbrechen, ich würde es nicht bemerken. Der Schock ist so groß, dass ich meine, mich nicht mehr bewegen zu können. Das Blatt Papier habe ich inzwischen fallen lassen. Es ist auf dem Dielenboden gelandet und wendet mir wie ein böser Schelm die beschriebene Seite zu.
    In meinem Kopf macht sich eine Leere breit, die versucht, die Erkenntnis gleich wieder zu verbannen. Tränen laufen mir übers Gesicht. Es dauert eine Ewigkeit, dann zwinge ich mich zurückzukommen, meine Gedanken zu ordnen, ich hebe mühsam das Papier vom Boden auf. Ich lege den Brief vor mir auf den Tisch und lese ihn wieder und wieder. Doch meine Gedanken sind ein unsortierter Haufen. Dafür sind meine Gefühle deutlich: Scham, Schuld und Panik. Und ich lese noch einmal:
    Hallo Jana,
    Hab’ jetzt meine
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