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Stars & Stripes und Streifenhörnchen

Titel: Stars & Stripes und Streifenhörnchen
Autoren: Michael Streck
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Streifenhörnchen-Massakern traumatisiert, gab das Interesse am Beruf der Tierärztin auf und will irgendwas mit Sprachen machen. Wenn's gar nicht anders geht, sogar Journalismus, aber dann auf jeden Fall anders als ihr Erzeuger. Am liebsten in Englisch, das sie nicht sprach und nicht verstand, als wir ankamen in Amerika. Sie spricht nunmehr in breitem New Yorker Slang davon, in Amerika zu studieren, und bislang haben Frau und Mann noch nicht den Mut gehabt, ihr zu beichten, dass wir dafür im Lotto gewinnen müssten. Aber sie ist fest entschlossen, und wenn ihr Opa mütterlicherseits anruft und fragt, was sie sich zu Weihnachten wünscht, sagt sie: »240 000 Dollar wären gut. Das reicht für sechs Semester.« Er ist ein vorbildlicher Großvater, er lacht herzlich aus 6500 Kilometer Entfernung, aber die Tochter meint das wenigstens semi-ernst, und darüber geht auch dem Opa das Lachen verloren.
    Abends beim Essen redeten wir nun oft über Deutschland und Hamburg und versuchten, den Kindern ihre alte Heimat wieder schmackhaft zu machen. Frau und Mann gaben sich alle Mühe, genau wie vor sechs Jahren – nur dieses Mal in andere Richtung. Wir erzählten über die Vorteile von Deutschland. Wir redeten uns unter Zuhilfenahme von Todds Abschiedsweinflaschen Deutschland richtig schön. Je später der Abend, je leerer die Flaschen, desto schöner Deutschland. Dass dort alles funktioniere: Häuser, Waschmaschinen, Strom, Straßen, Züge, Flugzeuge, alles. Wir schwärmten vor den Töchtern von unserem alten, kleinen Haus, in das wir – Glückes Geschick – wieder ziehen würden, und die ältere Tochter sagte knapp: »Das ist genau das Problem: klein und alt. Wie ganz Deutschland.« Ich hob an zu einer Rede über die Vorzüge teutonischer Ernährung, weniger Fett, mehr Substanz. Über Graubrot, Grünkohl und Mettbrötchen, aber auch die Rede ging nach hinten los. »Mettwurst«, dozierte die durch modernen Biologieunterricht gestählte Ältere, »ist das Widerlichste, was sich Menschen je haben einfallen lassen, und du solltest so was schon gar nicht essen, denk mal an deinen Cholesterinspiegel.« Die Jüngere sekundierte geschwisterlich, dass wir sie jagen könnten mit Grünkohl. Bis zum allerletzten Moment auf amerikanischem Boden befanden sich die Töchter nach eigener Diagnose im »state of denial«, Ablehnung, der ersten Phase bei der Trauerbewältigung.
    Wir misteten aus, Berge von Schrott – alte Stühle, alte Tische, alte Lampen, alte Matratzen, alte Farbtöpfe, alte Reifen – lagerten im Garten, und das beim Hinzug havarierte Klavier verschenkten wir an einen benachbarten Musiklehrer. Wir trennten den Müll politisch korrekt, Chemikalien und Holz und Glas und Papier und Plastik, und irgendwann kam Joey, unser Müllmann, und warf alles, getrennt oder nicht, in seinen Wagen und stellte den Schredder an, und es ächzte und krächzte aus dem Wagenbauch, während ein vermutlich hoch-toxischer Abfallbrei entstand. Frau und Mann standen entgeistert daneben, die Frau schrie noch: »Aber, aber!«, und Joey sprach nur: »Ich hab's euch doch schon so oft erklärt: Alles kommt auf einen Haufen«.
    Al Gore tat mir leid. Schon wieder.
    Für die Organisation des Rückzugs war wie für den Hinzug die Frau des Hauses verantwortlich. Man muss eine Menge bedenken bei Umzügen, und in organisatorischen Dingen ist die Frau dem Mann klar überlegen. Nicht nur bei uns ist das so. Aber bei uns ist das besonders so. Die Frau musste sich beispielsweise um die Rückführung des Haus-Hasen Rudi kümmern. Meine Freunde in »Jimmy's Corner« konnten nicht glauben, dass wir einen Hasen nach Deutschland fliegen würden, »kannst du ihn nicht freilassen?« oder »kann er nicht zufällig vom Auto überfahren werden?«, »könnt ihr ihn nicht verschenken?«. Selbstverständlich hatte ich sämtliche Optionen erwogen, aber die innerfamiliären Sanktionen wären drakonisch ausgefallen, Liebesentzug!, und ich verabschiedete mich von allen weiteren Gedankenspielen. Es kam auch kein Blitz aus heiterem Himmel, wie vor Jahren bei unseren Freunden, die auf diese wundersame Weise unmittelbar vor ihrem Umzug zwei Kaninchen verloren. Und also würde Rudi über den Atlantik fliegen, für sage und schreibe 250 Dollar, was exakt das 250-fache seines Anschaffungspreises von einem symbolischen Dollar war. Für 250 Dollar düsen Erwachsene von New York bis in die Karibik und zurück. Rudi wurde noch untersucht, für gesund und flugfähig befunden, und damit war auch
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