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Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben
Autoren: Christoph Fromm
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Sie das«, sagte Musk.
    Pflüger strahlte wie ein Honigkuchenpferd.
    Hans verstand überhaupt nichts mehr. Dieser Mann war kein Feigling, kein Opportunist. »Wieso …?«
    Musk unterbrach ihn. »Weil es Ihnen nur eine Menge Ärger einbringen würde. Glauben Sie mir, Sie wären nicht der Erste, der sich damit seine Karriere ruiniert, für nichts und wieder nichts. Der SD entzieht sich unserem Einflussbereich. Was diese Herrn hinter der Front treiben, geht uns nichts an.«
    Hans wollte noch etwas sagen, aber Musk kam ihm zuvor. »Wir führen unseren Kampf hier vorne, und wir führen ihn tapfer und ehrenvoll, was man von den Russen nicht immer behaupten kann, wie Sie bald feststellen werden. Also Vorsicht! Pflüger, geben Sie an die Männer Munition und Handgranaten aus. Kommen Sie dann mit Wölk und Haller zur Lagebesprechung. Wegtreten.«
    Pflüger verschwand mit den Pionieren. Musk begab sich mit Hans zum Kartentisch. »Leutnant Herbig ist vor zwei Tagen gefallen. Sie werden seine Kompanie übernehmen. Die Männer, die Sie mitgebracht haben, werden Ihnen zugeteilt.« Er sah kurz auf einen Zettel. »Die erste Kompanie hat damit wieder eine Angriffsstärke von siebzig Mann.« Er bemerkte den erstaunten Blick des Leutnants und fügte trocken hinzu: »Viel für Stalingrad. Der Schnitt beträgt dreißig.«
    Hans schwieg. Musk sah auf. Es entging ihm nicht, dass der Leutnant wegen seiner Erwiderung von vorhin verstimmt war. Er war nicht der erste junge Idealist, den er auf ein paar unangenehme Tatsachen hinweisen musste. Meist lebten diese jungen Offiziere allerdings nicht lange genug, um viel zu lernen. Die Auslese an der Front war hart und unerbittlich.
    Auch das Exemplar vor ihm schien keine allzu glücklichen Voraussetzungen mitzubringen. Zu weich, zu unentschlossen, aber da die Auswahl weiß Gott nicht mehr allzu groß war, beschloss Musk, den neuen Leutnant zunächst wieder etwas aufzubauen. Die Front würde alles andere entscheiden.
    Sein Tonfall wurde persönlicher. »Ihr Onkel, Oberst von Wetzland, ist ein guter Freund von mir. Er hat mich gebeten, mich ein wenig um Sie zu kümmern. Er hofft nach wie vor, dass Sie sich für die militärische Laufbahn entscheiden, trotz der pazifi stischen Neigungen Ihrer Verlobten.« Musk registrierte amüsiert, wie Hans errötete. »Soll übrigens ein wunderbares Mädchen sein.« Sein Tonfall wurde wieder militärisch. »Es war sehr unvorsichtig von Ihnen, sich bei Vorgesetzten, die Sie nicht kennen, über die Einsatzgruppen in der Etappe zu beschweren, die, wie Sie eigentlich wissen sollten, einen nicht unerheblichen Rückhalt in der politischen Führung genießen.« Mit der Linken schraffierte er die Angriffskeile in einem maßstabgerechten Stadtplan, während er wie nebenbei fortfuhr. »Was Sie gesehen haben, ist einer der bedauerlichen Auswüchse, die es in jedem Krieg gibt. Ideale sind etwas Wunderbares, aber wenn man sie nicht im entscheidenden Moment zu relativieren weiß, wirken sie zerstörerisch. Das richtige Maß entscheidet auch bei einem Medikament, ob es heilend wirkt oder als Gift.«
    Zufrieden mit diesem gelungenen Vergleich winkte er Pflüger und die beiden anderen Kompanieführer, die eingetreten waren und respektvoll im Hintergrund gewartet hatten, an den Kartentisch.
    Feldwebel Wölk, klein und mit den ungewöhnlich breiten Schultern beinahe quadratisch aussehend, fühlte sich sichtlich unwohl unter den Offizieren, was sich dadurch ausdrückte, dass seine fleischigen Wangen immer wieder nervös zuckten. Er war in Ermangelung eines Offiziers vor drei Wochen Kompaniechef geworden.
    Oberleutnant Haller, Ende zwanzig, aber bereits mit Bauchansatz, wirkte trotz seiner Größe und eines martialisch kurzen Haarschnitts eher harmlos, beinahe gutmütig. Hinter einer zu kleinen Komissbrille blinzelten zwei nervöse Augen, während er Hans übertrieben fest die Hand drückte. Der ganze Mann schien ständig Haltung bewahren zu wollen und wirkte doch nur wie ein großes, weiches Kissen. Beim Sprechen entblößte er winzige Vorderzähne.
    Er versuchte für alles, was Musk sagte, krampfhaftes Interesse zu zeigen, wobei sein Oberlippenbärtchen zitterte und ihm Schweiß auf die Stirn trat. Musk behandelte ihn mit freundlicher Ironie.
    Die Lagebesprechung begann. Musk breitete eine detailliertere Karte aus. Der Bauplan, dachte Hans, der Bauplan des Todes. Und sie waren die Architekten. Voller Bewunderung folgte er den präzisen Ausführungen des Hauptmanns. In diesem
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