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Stalingrad

Stalingrad

Titel: Stalingrad
Autoren: Viktor Nekrassow
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vermag. Was sich auch auszahlte, war die Beherrschung der Kriegskunst – Strategie und Taktik, Fernund Nahziel, das Vermögen, niedrigere Hügel aufzugeben, um für die Kontrolle der Lage entscheidendere Höhen in die Hand zu bekommen.
    Im literarisch-verlegerischen Prozeß der Sowjetunion gibt es eine im Westen unbekannte Institution – die des Lektors. Der Lektor ist ein Mensch, der besser als der Schriftsteller weiß, was geht und was nicht. Er streicht und fügt ein, tauscht aus und präzisiert, beredet und beharrt, vor allem kennt er sich aus im Geschmack und in den Launen des Chefredakteurs, des Verlagsleiters und des ZK-Instrukteurs. Und natürlich ist er im Bilde über die neuesten Ideologiebeschlüsse der Partei.
    Die sowjetische Literatur, die fortschrittlichste auf der Welt, befindet sich ständig im Zustand der Mobilmachung. In ständiger Gefechtsbereitschaft. In meiner fast dreißig jährigen Zugehörigkeit zum Schriftstellerverband gab es meines Wissens keinen Tag, an dem wir nicht gegen etwas gekämpft hätten: gegen den bürgerlichen Nationalismus, den Großmachtchauvinismus, den Kosmopolitismus, die Servilität, die Konfliktlosigkeit, das Besingen grauer Vorzeiten, die fehlende Verbindung zur zeitgenössischen Thematik, die Unterschätzung der Arbeiterklasse und natürlich auch gegen den Alkoholismus. Der Kampf gegen letzteren läßt niemals nach – weder am Tage noch in der Nacht, weder im Leben noch im künstlerischen Schaffen. Hier mußte ich die größten Verluste hinnehmen. Selbst Twardowski, den man wahrlich nicht als Antialkoholiker bezeichnen konnte, schüttete den Wodka aus den Gläsern meiner Helden und goß Bier hinein.
    Seine Waffe hält der sowjetische Literat stets kampfbereit, sie ist geschärft und niemals rostig, die Pulverbüchse stets voll und trocken, und dennoch steht er, der Schriftsteller, ewig in der Schuld unseres anspruchsvollen Lesers – davon ist auf jedem Plenum, auf jedem Parteitag die Rede –, er ist noch nicht tief genug eingedrungen, zuweilen bleibt er an der Oberfläche, läßt manches außer acht. Doch hier kommt ihm der Lektor zu Hilfe. In den nie endenden Kollisionen weiß er stets, worauf das Feuer gerichtet werden muß, im richtigen Moment reicht er dir die notwendige Waffe, übernimmt das Steuer deines zerbrechlichen Nachens und dreht das Segel in den nötigen Wind, unseren Wind. Für alle diese Ratschläge, Tips und Ruderwendungen erhält er, der Lektor, ein entsprechendes Entgelt. Der kluge Schriftsteller hört auf ihn, und alles läuft wie geschmiert – hohe Auflage, »Ogonjok«-Bibliothek, auch eine Prämie und eine Auslandsreise liegen im Bereich des Möglichen.
    Aber leider oder gottlob sind nicht alle Schriftsteller klug, befolgen nicht alle Lektoren gehorsam die Weisungen von oben. Ich hatte das Glück, mit solchen Lektoren arbeiten zu können: klug und listenreich, mutig und, wo nötig, vorsichtig, kundig in allen Kniffen des Fechtkampfs und des Seiltanzes. Ich verdanke ihnen wenn nicht die erste, so doch die zweite und alle folgenden Stufen, die ich auf der steilen und tückischen Treppe zum literarischen Olymp erklomm. Auf den Gipfel, den offiziell anerkannten und bestätigten, mit Samtteppichen und Limousinen, gelangt man nicht mehr über eine Treppe, sondern mit dem Lift – so weit bin ich nicht gekommen, sie haben mich hinabgestoßen, aber das ist bereits ein anderes Thema, darüber ein andermal …
    Ein halbes Leben vor dem Buch, ein halbes danach. Eine Zwischenbilanz kann man da wohl ziehen.
    Dreißig Jahre in der Partei – der grausamsten, feigsten, stärksten, prinzipienlosesten und verkommensten der Welt. Ich schenkte ihr Glauben, trat ein und lernte sie am Ende meiner Mitgliedschaft hassen. Drei Jahre in der Armee, in ihrer schwersten Zeit. Ihr gehörte meine Liebe, und ich bin stolz auf ihre Siege. Meine Liebe galt dem ewig unzufriedenen Gemeinen, dem Kämpfer – Soldat wurde er erst später genannt. Nein, nicht dem, der auf den Plakaten zu sehen ist oder in Berlin, im Tiergarten, dem ruhigen, sicheren, mit Stahlhelm – den hat nie einer getragen –, sondern dem anderen – die Feldmütze bis auf die Ohren, mit ewig verrutschten Wickelgamaschen, knurrig, über seinen Hauptfeldwebel wilder fluchend als über den Deutschen, dem, der sich durch halb Europa gekämpft hat und auf den Reichstag hinaufgeklettert ist. Ich kannte diese beiden – Jegorow und Kantarija –, blitzgescheite Burschen, nach dem Krieg taten sie gemeinsam in den
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