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Stalingrad

Stalingrad

Titel: Stalingrad
Autoren: Viktor Nekrassow
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eine einzige Mitarbeiterin der Zeitschrift reagierte – sagen wir – säuerlich. Über die Rolle der Partei habe ich mir, um ehrlich zu sein, beim Schreiben keine Gedanken gemacht. Wischnewski erhob diesbezüglich keinerlei Forderungen. Tolja Tarassenkow, sein Stellvertreter, freilich kratzte sich hinter dem Ohr.
    »Tja, also …«, sagte er. »Wenigstens einmal könnte in dem Buch das Wort ›Kommunist‹ vorkommen. Gab es denn in eurem Regiment nicht einen anständigen Parteimenschen?«
    »Regimentskommandeur Major Mitiljow. Der Kommissar war ein Laffe – Abrossimow, eigentlich hatte er einen anderen Namen – weißt ja selber …«
    »Und von den Soldaten?«
    »Einen Agitator hatten wir, Senetschka. Ein feiner Junge.«
    »Wieso hast du ihn übergangen?«
    So kam Senetschka in das Buch, vorher war er nicht drin – ich habe ihm Unrecht getan.
    Noch ein paar Korrekturen gab es, in der Hauptsache wegen Trinkerei. Gemessen an heutigen Zeiten, waren wir, nebenbei bemerkt, die reinsten Abstinenzler.
    Soweit zu den Forderungen und Korrekturen. In der Zeitschrift. Bei den Buchausgaben waren sie zahlreicher. Und gravierender. »Und er wird uns zum Sieg führen!« wurde, auf Stalin bezogen, eingefügt, nachdem ich lange Widerstand geleistet hatte, doch die erfahrenen Kämpfer schafften es, ihn schließlich zu brechen. Aus allen Wunden blutend, gab ich auf – ich gestehe es voll Reue.
    Zur Wahrheit. War es die ganze Wahrheit? Im wesentlichen ja. Zu neunundneunzig Prozent. Etwas habe ich verschwiegen – ein Prozent.
    Wanja Fistschenko, der Aufklärer – im Buch heißt er Tschumak –, brach manchmal recht aufgekratzt zur Erfüllung eines Auftrags auf und kehrte ebenso aufgekratzt zu rück, nachdem er bei den Artilleristen im Unterstand auf der Bärenhaut gelegen hatte. Einmal fand ich ihn dort schlafend und las ihm kräftig die Leviten. Wir zerstritten uns sogar. Später, im Lazarett, versöhnten wir uns und schlossen Freundschaft. Nach dem Krieg wohnte er bei mir und studierte Bergbautechnik. Wo er jetzt ist, weiß ich nicht. Ich habe Sehnsucht nach ihm.
    Er hatte noch eine Schwäche. Seine Jungs wußten sich auf recht findige Weise in den Divisionslagern zu versorgen – an Wodka, Schokolade und Apfelsinen war bei ihm nie Mangel. Allen war das bekannt, doch keiner verpfiff ihn, im Gegenteil, man versuchte sich mit ihm gut zu stellen: Vielleicht fiel etwas ab. Als ich das Buch schrieb, habe ich das verschwiegen – weil ich Wanja mochte.
    Ich verschwieg auch, daß Lissagor – seinen richtigen Namen verrate ich nicht – mit seiner Beute prahlte: einer Handvoll Goldkronen, die er gern vorzeigte. Dafür bestrafte ich ihn. Doch diese Würdelosigkeit im Buch publik zu machen, hielt ich für unangebracht, zudem fiel das bereits in die friedlichen Stalingrader Tage.
    Für mich behielt ich auch mein eigenes – Pardon, Kershenzews – Fehlverhalten. Einmal befahl mir der Leiter Pionierwesen der Division, alle Infanterie- und Panzerminen weiß anzustreichen, damit sie auf dem Schnee nicht auffielen. »Befehl ausgeführt!« meldete ich, ohne meinen Unterstand verlassen zu haben – sollte er doch zur Gefechtslinie gehen und die Sache nachprüfen, wo dort geschossen wurde. Wir logen auch in unseren Meldungen, besonders was die Zahl der abgeschossenen feindlichen Flugzeuge betraf. Jedes Bataillon schrieb den Abschuß einer Messerschmitt seinem treffsicheren Gewehr- und MG-Feuer zu. Nach diesen Meldungen hätte die deutsche Luftwaffe längst nicht mehr existieren dürfen.
    Dieses Buch ist vor langer Zeit geschrieben worden. Von einem Mann, der sich in militärischen Dingen inzwischen einigermaßen auskannte. Doch von den Skyllen und Charybden des sich vor ihm auftuenden neuen Weges wußte er nichts. Zum Beispiel wußte er nicht, daß er als neugebackenes Mitglied des Schriftstellerverbandes mit seinem Enthusiasmus anzustecken und zu bestärken, zu erziehen und anzuleiten, daß sein Schaffen eine zuverlässige Waffe und er selbst der beste Helfer und ein begeisterter Sänger zu sein hatte. »Die schwierige Kunst des Lobpreisens!« – mein Lebtag werde ich die Überschrift des Artikels von Rowenskich, Regisseur am Maly Theater, in der »Sowjetskaja kultura« nicht vergessen.
    All das ging mir erst später auf. Ich erlernte die ganze schwere Zirkuskunst, ohne deren Beherrschung – Äquilibristik, Jonglieren, Balancieren, Seil-, ja sogar Messertanzen – keiner auch nur einen Tag in der Arena der Sowjetliteratur zu überstehen
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