Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stalingrad

Stalingrad

Titel: Stalingrad
Autoren: Viktor Nekrassow
Vom Netzwerk:
Regiments, getragen. Als wir, ein Lied auf den Lippen, einen forschen Schritt anschlugen, heulten die Weiber los: »Ihr Guten, mit Knüppeln gegen die Deutschen!« Bis heute zerbreche ich mir den Kopf, wer sich diesen Zirkus wohl ausgedacht haben mag.
    In die vorderste Linie gerieten wir gleich in der Anfangsphase des »Barbarossaplans«. Waffen bekamen wir einen Tag bevor wir »in das Kampfgeschehen eingriffen«. Die Soldaten Mossinsche Gewehre, Modell 1891, die Offiziere TT-Pistolen. Das eine wie das andere hielten wir zum erstenmal in der Hand. Wir wollten uns an Krähen üben, doch das wurde verboten – die Gefechtslinie lag nahebei.
    Unser »Eingreifen in das Kampfgeschehen« schlug in kopflose Flucht um. Am Morgen überschütteten uns Ju 88 mit einem Bombenhagel, im Tiefflug rasten Messerschmitts über uns hinweg, Panzer rückten vor. Wir lagen im Gebüsch des »Verteidigungsabschnitts«, den wir halten sollten, und machten uns still und leise die Hosen voll. Ich befahl: »Einzeln, in Sprüngen, zu dem Wäldchen da!« Und rannte, was das Zeug hielt, den anderen nach. Der berühmte Nurmi hätte mich beneiden können.
    So begann »mein« Krieg. Er endete im Juli 1944 in Lublin – die Kugel eines Scharfschützen, vom Dach eines Hauses auf dem Krakowskie Przedmies´cie abgefeuert, durchschlug mir das rechte Schulterblatt.
    Ein halbes Jahr später wurde ich demobilisiert und bekam als »Versehrter des Vaterländischen Krieges, Gruppe II«, eine Rente. Mir blieb nur noch das Fähnchenverschieben auf der großen Europa-Karte deutscher Herkunft, die an sichtbarster Stelle an der Wand hing.
    Am 9. Mai 1945 betranken wir uns alle, wir küßten uns endlos, wer noch eine Pistole hatte, der schoß in die Luft und lief neuen Wodka holen.
    Wir kämpfen für eine gerechte Sache! Der Feind wird vernichtet werden! Der Sieg wird unser sein! Die Prophezeiungen des stotternden Wjatschek Steinhintern, auch Hammelstirn, wie der junge Wjatscheslaw Skrjabin im Gymnasium genannt wurde, erfüllten sich nach vier Jahren an diesem unvergeßlichen Frühlingstag.
    Wir haben gesiegt! Der Faschismus – dieser Schrecken der Welt – ist zerschmettert. Mussolini wurde gehängt, Hitler hat Selbstmord begangen. Einen Monat später werden die schwarzroten Banner mit den Orden und Hakenkreuzen dem Sieger zu Füßen fallen – der große Stalin wird vom Mausoleum herablächeln.
    Über Sieger richtet man nicht! Leider! Wir hatten Stalin alles verziehen! Die Kollektivierung, das Jahr siebenunddreißig, die Liquidierung der Kampfgefährten, die ersten Tage der Niederlage. Und er hatte jetzt natürlich die Kraft des Volkes, das seinem Genius vertraute, begriffen, er hatte begriffen, daß man es nicht länger täuschen durfte, daß ein einheitliches Handeln nur möglich war, wenn man ihm die grausame Wahrheit in die Augen sagte, daß es zu den Strömen von Blut der Vergangenheit, nicht der Kriegszeit, sondern der Zeit davor, keine Rückkehr gab. Durch den Krieg zu Soldaten gemacht, schenkten wir intelligenten jungen Burschen diesem Mythos Glauben und traten reinen, offenen Herzens in die Partei Lenins und Stalins ein.
    Friede wird in der Welt einkehren! Endlich ist die Sonne der Freiheit aufgegangen! Für alle. Für die befreiten Völker, für uns, für mich …
    Daran – daß die Rote Armee der Welt Frieden und Freiheit gebracht hatte! – glaubte ich, als ich mit halbgelähmten Fingern an den Hängen des Roten Stadions den ersten Satz in mein Schulheft schrieb:
    »Der Rückzugsbefehl kommt ganz überraschend …«
    Vor sechsunddreißig Jahren dachte ich so. Heftige Sehnsucht nach meinen »Birkenpflöcken«, meinen Offiziersfreunden, verzehrte mich, etwas weniger stark war die nach den Vorgesetzten. Und alle sollten meine Rote Armee mögen, die Befreierarmee. Sie hatte es sich verdient – mit ihrem Blut, mit Schweiß, mit Wunden, mit Gräbern …
    Und Stalin, der Oberste Befehlshaber – was war mit ihm?
    Anfang 1947, als meine »Schützengräben« im Verlag »Sowjetski pissatel« vorlagen (noch bevor ich den Preis erhielt), wurde ich von der Zensorin vorgeladen – ein Ausnahmefall. Sie sah mich vorwurfsvoll an und sagte:
    »Ein gutes Buch haben Sie geschrieben. Aber wie das – über Stalingrad und ohne den Genossen Stalin? Irgendwie peinlich. Der Inspirator und Organisator aller unserer Siege, und Sie … Sie sollten eine kleine Szene ergänzen im Arbeitszimmer des Genossen Stalin. Zwei, drei Seitchen, mehr nicht …«
    Ich stellte mich dumm. Bin
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher