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Stahlhexen

Stahlhexen

Titel: Stahlhexen
Autoren: authors_sort
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schwer zu sagen war.
    Wer ist dieser Mann?
    Bei genauerem Hinsehen fiel Fletcher auf, was für ein Riese der Tote gewesen war - mindestens zwei Meter groß, breit in den Schultern und aus dem Mantelkragen reckte sich ein kräftiger Hals. Wohlhabend wirkte er auch, dachte Fletcher: Der Mantel war aus Kaschmir, und aus dem rechten Ärmel lugte eine mächtige Pranke, an deren Handgelenk eine goldene Rolex glänzte. Fletcher ging in die Hocke, um die Uhrzeit abzulesen: 8.27 Uhr. Sie lief also noch. Ein wohlhabender, linkshändiger älterer Herr mit der Statur eines Boxers, der anscheinend einfach so mitten in der Nacht aus dem Himmel auf die Erde gefallen war. Und direkt auf einen Stahlträger.
    Gefallen, das ist das richtige Wort.
    Wer ist dieser Mann? Und warum ist er überhaupt hier?
    Fletcher wusste, dass er jetzt eigentlich die Polizei anrufen müsste. Doch statt seines Handys nahm er einen Kugelschreiber aus der Tasche und hob damit das Mantelrevers an. Die Augen des Toten starrten ausdruckslos an ihm vorbei. Unter dem Kaschmir kam ein Hemdkragen zum Vorschein, die Krawatte war verrutscht - vermutlich durch den Aufprall. Oder bei einem Kampf? Dann ein marineblaues Jackett. Behutsam sondierte er das Innere mit dem Kuli. Ein Linkshänder nutzt beim Jackett die rechte Innentasche. Da die Leiche fast horizontal auf dem Träger hing, konnte Fletcher den Inhalt der Brusttasche mühelos ein Stück weit herausschieben. Eine großformatige, dünne Brieftasche aus protzigem Krokodilsleder, die sich leicht hochklappen ließ. Banknoten waren zu sehen, auf der einen Seite
     

eine American Express Gold Card und auf der anderen in einem durchsichtigen Fach eine Ausweiskarte. Irgendetwas Unternehmensinternes, vielleicht eine Passierkarte für bestimmte Unternehmensbereiche. Auf dem Foto das feiste Gesicht des Toten mit einem aggressiven Grinsen. Darunter ein Name, Nathan Slade.
    Nathan Slade? Noch nie gehört.
    Ein genauerer Blick verriet Fletcher den Namen des Unternehmens, dessen Bereiche Nathan mit seiner Passierkarte betreten hatte.
    Jesus.
    Die Bellman Foundation.
    Jeder in Cambridge kannte die Bellman Foundation. Ein großes amerikanisches Unternehmen, dessen europäische Zentrale in der Nähe des Science Parks von Cambridge lag. Bellman, das hieß Luft- und Raumfahrt, militärische Forschung, Waffenproduktion.
    Fletcher schob die Brieftasche zurück.
    Jetzt erst griff er zum Handy und meldete den Leichenfund, gab den Ort an, nannte seinen Namen. Die Frau in der Zentrale fragte:
    »Darf ich Sie Tom nennen?«
    »Ja, okay, nennen Sie mich ruhig Tom.« Er erzählte, er sei zufällig beim Joggen auf die Leiche gestoßen. Die Sache habe ihm einen Heidenschreck eingejagt, sagte er, was absolut stimmte. Er berichtete alles, nur nicht vom Anruf seines Vaters, und dass sein Vater den Kerl hatte umbringen wollen. Das behielt er lieber für sich, und dass er einen Blick auf die Ausweiskarte des Toten geworfen hatte, ebenfalls.
    »Wo befinden Sie sich jetzt, Tom?«
    »Ich stehe direkt neben der Leiche.«
    »Haben Sie irgendetwas angefasst?«
    »Ich habe nur nachgeschaut, ob er vielleicht noch am Leben ist.«
    »Unsere Leute sind schon unterwegs. Bleiben Sie ruhig.«
    13
     

Fletcher beendete das Gespräch. Dann stand er noch einen Moment lang da und betrachtete den Mann, den sein Vater ihn suchen geschickt hatte. Ein eleganter Mann, Linkshänder, mit einer Vorliebe für Rolex-Uhren, goldene Amex-Karten und Krokodilsleder. Ein Toter, der für ein amerikanisches Rüstungsunternehmen gearbeitet hatte und einfach so aus dem Himmel auf einen Stahlträger gefallen war.
    Fletcher wandte sich zum Gehen, machte dann aber noch einmal kehrt. Ein Linkshänder. Die Rechte ist leer. Und was hält er in der Linken?
    Fletcher ging ein zweites Mal in die Hocke. Nathan Slades linke Hand war zur Faust geballt und berührte den Schnee, der die mächtigen Finger teilweise bedeckte. Der Wind frischte auf, wirbelte Schnee hoch und wehte die Finger noch stärker zu. Fletcher sah genauer hin. Da war etwas, eindeutig. Nicht auf den ersten Blick zu erkennen, aber trotzdem da. Etwas, das im Wind flatterte und sich im trüben Licht schimmernd über den Schnee schlängelte.
    Fletcher stand auf und ging vorsichtig weg.
    Ein wohlhabender Mann mit soldatischem Bürstenschnitt fällt aus dem Himmel und landet auf einem Stahlträger. Die Uhr an seinem rechten Handgelenk läuft weiter. Und mit der Linken umklammert er eine Haarsträhne.
    Nicht von seinem eigenen
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