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Stahlhexen

Stahlhexen

Titel: Stahlhexen
Autoren: authors_sort
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weniger steilen, schneebedeckten, terrassenartigen Stufen nach unten, und über die hintere Wand zog sich das Wrack irgendeiner riesigen Maschine: ein Stahlgestell, von dem ein Förderband lose herunterbaumelte wie ein Fell, das man einem Tier über die Ohren gezogen hatte.
    Fletcher machte seinen Parka zu. Sein Vater hatte zum ersten Mal seit achtzehn Jahren mit ihm gesprochen und ihn hierher geschickt - aber warum? Um jemanden zu töten? Um eine stillgelegte Kiesgrube zu besichtigen - ein einfaches Loch in der Erde?
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Der einzige Weg nach unten führte hinter der Schranke links und dann am Rand der Grube entlang. Ein paar Meter weiter kam eine Rampe aus festgefahrenem Kies und Geröll, ein langer, steiler Abhang, der für ein Auto wohl gerade noch zu bewältigen war und bis auf den Grund der Grube führte. Dort unten war der Boden von kleineren Vertiefungen übersät, die teils voll Wasser und jetzt vereist waren und teils voll froststarrem Unkraut und Gestrüpp. Hier und dort lag alter Schrott herum - Rohre, Blechtonnen und leere Ölfässer. Unmittelbar unter Fletcher ragte am Fuß der Grubenwand eine Reihe schmaler Stahlträger aus dem Schnee, deren Spitzen ein zackiges Schattenmuster warfen.
    Und da war noch etwas. Fletcher beugte sich über die Schranke, um genauer hinzusehen.
    Um die Träger herum hatte der Wind kleine Schneewehen angehäuft, die im trüben Morgenlicht heller schimmerten. An einer Stelle aber war der Schnee dunkler und der höchste Stahlträger von etwas Massigem umschattet. Fletcher spürte, wie sein Herz zu hämmern begann. Er beugte sich weit über die Schranke, um mehr zu sehen. Und dann rannte er den Grubenrand entlang zur Rampe und stürmte diese so schnell hinunter, wie es der holprige Gerölluntergrund zuließ, nicht ohne am Fuß der Rampe prompt noch auszurutschen. Er fing sich wieder und stand ganz still da, ringsum von den Grubenwänden umschlossen, die alle Geräusche abhielten und den Himmel zu einem metallisch glänzenden Rechteck verengten. Zu seiner Rechten, unmittelbar vor der Grubenwand, stand die Reihe der Stahlträger in ihrem Schneemantel.
    Der massige Schatten, den er an einem der Stahlträger gesehen hatte, war ein Mensch, der von der scharfen Metallspitze durchbohrt, am Träger noch einen Meter nach unten gerutscht und dann dicht über dem Boden stecken geblieben war. Fletcher versuchte zu begreifen, was er da sah im Dunst seines eigenen Atems. Der Mann trug einen langen
     

braunen, schneebestäubten Mantel, dunkle Hosen, elegante Straßenschuhe und rührte sich nicht. Obwohl er rücklings auf dem Stahlträger steckte, konnte man sein Gesicht nicht sehen, weil der Kopf zurückgekippt war. Rundum im Schnee nicht eine t.azige Spur. Fletcher blickte zum zwanzig Meter hohen Grubenrand hinauf, wo die Schranke gerade noch zu sehen war. Dieser Mensch war über die Schranke gefallen und dann in den Träger gestürzt.
    »Wir müssen ihn töten, Tom.«
    Meintest du den da? Der ist schon tot.
    Was hat mein Vater mit dieser Sache zu tun?
    Er nahm sein Handy aus der Parkatasche. Dann steckte er es wieder ein.
    Hat mein Vater das mitangesehen? Hat er irgendwas mit dieser Sache hier zu tun?
    Fletcher trat ein paar Schritte auf die Leiche zu. Ihm war klar, dass seine Schuhe in den Schnee einsanken und Spuren hinterließen. Aber wer einen derart aufgespießten Menschen sah, würde sich doch in jedem Fall nähern, oder? Um sich zu vergewissern, ob nicht vielleicht doch noch Hilfe möglich war.
    Fletcher näherte sich von der Seite, wo am wenigsten Schnee lag, und umkreiste die Leiche in einigem Abstand. Ein eiskalter Windstoß fegte die Grubenwände herab, peitschte den Dunst seines Atems davon, wirbelte Schneestaub von den Schneeverwehungen auf und ließ den Mantel des Toten flattern. Fletcher sah das Gesicht.
    Ein Weißer, Ende Fünfzig. Das Gesicht war breit, das Kinn kantig, das graue Haar soldatisch kurz geschnitten. Die Augen starrten zum Grubenrand hinauf und auch der Mund stand offen. Keinerlei Anzeichen von Bewegung oder Atem.
    Fletcher stapfte durch den Schnee auf die Leiche zu. Der Stahlträger hatte den Unterleib durchbohrt, an der Stahlspitze hing noch ein brauner Stofffetzen, doch um den
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Bauch herum war der Mantel blutdurchtränkt und der Schnee am Boden hatte sich malvenrot verfärbt.
    Der Mann war wohl erst seit ein paar Stunden tot, denn die Gliedmaßen wirkten noch starr, obwohl das natürlich bei der Kälte und dem Schneestaub, der die Leiche bedeckte,
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