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Stadtlust - vom Glueck, in der Großstadt zu leben

Stadtlust - vom Glueck, in der Großstadt zu leben

Titel: Stadtlust - vom Glueck, in der Großstadt zu leben
Autoren: Katja Barbara und Trippel Schaefer
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»Dülmer Rosenapfel« oder »Purpurroter Casinot«, am Haus mehr oder weniger wild hinarrangierte Blumenrabatten, Windspiele, selbst getöpferte Vogeltränken. Das Gemüse- und/oder Erdbeerbeet viereckig, die Kräuterspirale rund, vielleicht ein Seerosenteich.
    Nichts davon findet man im Allmendekontor. Und wenn doch, dann ironisch durcheinandergemixt. Wer sich ihm im Winter nähert, erspäht kurz vor der ersten Häuserzeile Neuköllns ein seltsames bauliches Ensemble, eine Art Miniaturhüttendorf auf Tischhöhe. Kommt man näher, erkennt man grob gezimmerte Holzkonstruktionen, in deren Innern Grünzeug friert. Es handelt sich um Hochbeete, die aus Holzbrettern, Europaletten, alten Schranktüren und Waschzubern zusammengenagelt wurden. Mal dreieckig, mal im U-Format, manche quadratisch. Über einigen flattert in alter Laubenpiepertradition eine Fahne im Wind, andere wurden bemalt oder mit Stoff bespannt. Gemein ist ihnen nur, dass fast an jedes eine Sitzgelegenheit montiert wurde – die zum Teil mehr Raum einnimmt als das Beet an sich: die Beetbank.
    Nicht nur das seltsame Sitzmöbel zeugt hier von einem neuen Gartenfeeling. »Fast alles ist hier anders«, strahlt Gerda Münnich. »Keine Pflanzordnung, keine Hierarchien, kein Kleiderzwang, fast keine Regeln. Jeder darf sich hier gärtnerisch und gestalterisch austoben, wie es ihm gefällt.«
    Im Frühjahr 2012, der Rasen des Flugfelds war noch blass, riefen die 15 Macherinnen und Macher des Allmende-Kontors zum Angärtnern ihrer zweiten Saison. 258 Hochbeete waren im Jahr davor entstanden, mehr oder weniger gehegt und gepflegt von etwa 700 urbanen Gärtnerinnen und Gärtnern. Fast alle davon meldeten sich auch brav zurück, erzählt Gerda Münnich, dazu kamen so viele weitere Begeisterte, dass das Allmendeteam die Warteliste auf Platz 250 schließen musste – für 20 frei gewordene Hochbeete.
    Am Tag der Eröffnung windete es stark, graue Wolken ballten sich über dem Flugfeld. Doch die Kistengärtner störte das nicht: Alte, junge, deutsche, nichtdeutsche, Nachbarn und Berliner aus anderen Kiezen kamen vorbei, um nach ihren Hochbeeten zu sehen oder die frei gewordenen in Betrieb zu nehmen. Sie begrüßten sich in einem Kauderwelsch aus Deutsch, Türkisch, Französisch, Spanisch wie alte Freunde, hämmerten eingebrochene Bretter fest, schaufelten Erde hin und her, begannen Pläne für die Gestaltung des »Dorfplatzes« zu schmieden. Selbst ein Regenschauer konnte die Aktivisten nicht zur Flucht bewegen, zum Missfallen einiger »Neuer«, die ihre Hoffnung auf ein freies Allmendestück nicht aufgegeben hatten.
    Nur, der Platz war beschränkt – und alle Beete vergeben. Enttäuschte Mienen überall. Was nun? »Wir hatten im Winter überlegt, ob wir alle Beete neu vergeben oder rotieren, denn das Allmende soll ja alles sein, nur keine Erbscholle mit Besitzrecht«, erzählt Gerda Münnich. »Doch das schien uns dann doch etwas radikal.« Die Lösung: Bestehende Gruppen sollten Neulinge aufnehmen. Was bei Einzelnen tatsächlich gelang.
    Drei Monate später sprießt es aus den schabbrigen Hochbeeten des Allmendekontors grün, grüner, am grünsten – und dies wie bei ihren Companeros der Prinzessinnengärten aus Prinzip ohne öffentliche Gelder oder Firmensponsoring. Kürbisse und Bohnen, Rhabarber und Rettiche wachsen in ordentlichen Reihen, daneben blüht Kapuzinerkresse aus mit Erde gefüllten Turnschuhen.
    Bei schönem Wetter rennen kreischende Kinder um die Holzkisten herum und spielen Verstecken, während die Älteren auf ihren Beetbanken quatschen, eine Thermoskanne Kaffee oder eine Flasche Rotwein in der Hand. Agrarstudenten haben auf einem Rundbeet die Nutzpflanzen der Erde wie ein Tortendiagramm nach deren Gesamtanteil angepflanzt. Eine spanische Krisenexilantin untersucht ihre Salatköpfe nach Läusen, ein junger Libanese zieht zufrieden an der Shisha, von irgendwoher weht das Gefidel einer Geige. Es ist ein fast unwirkliches Szenario und doch real genug, um auch auf Facebook gelandet zu sein: Täglich posten die Gärtner des »Gemeinschaftsgarten Allmendekontor« neue Fotos, Fans aus aller Welt hinterlassen Kommentare. Im Juli kam die Ministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ilse Aigner, selbst passionierte Hobbygärtnerin, mit ihrem Polittross vorbei, quetschte fachmännisch ein paar Kürbisse und konstatierte: »Das Allmendekontor ist ein gutes Beispiel dafür, wie man Brachflächen in der Stadt wieder sinnvoll nutzen kann – und
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