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Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen

Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen

Titel: Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen
Autoren: Armistead Maupin
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Matriarchin.
    Mary Ann und D’orothea tauschten ein verstohlenes Grinsen aus.
    »Mutter, wenn du nichts dagegen hast …«
    »Was ist denn aus Pipi machen geworden, DeDe? Ich habe dir beigebracht, Pipi zu sagen.«
    »Tut sie auch noch«, sagte D’or.
    Wieder ein funkelnder Blick von DeDe. Mary Ann schaute aufs Tischtuch hinunter, weil sie auf einmal Angst hatte, daß D’or versuchen könnte, sie als Verbündete einzuspannen.
    »Komm«, sagte Mrs. Halcyon und stand auf. »Gangie geht mit dir zu ›kleine Mädchen‹.«
    »Ich auch«, meldete sich Edgar.
    »Also gut … du auch.« Sie nahm die beiden Patschhändchen in ihre dicken, juwelengeschmückten Pranken und zottelte ins Dunkel hinter den Rattanstellwänden.
    D’orothea gab ein theatralisches Stöhnen von sich.
    »Fang gar nicht erst an«, sagte DeDe.
    »Es wird immer schlimmer mit ihr. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, aber es wird tatsächlich schlimmer.« Sie wandte sich an Mary Ann und gestikulierte mit steifem Zeigefinger in Richtung Toiletten. »Die Frau lebt unter einem Dach mit ihrer lesbischen Tochter und ihrer lesbischen Schwiegertochter und ihren zwei halbchinesischen Enkelkindern von dem beknackten Laufburschen von Jiffy’s …«
    »D’or …«
    »… und sie führt sich immer noch auf, als wären wir im neunzehnten Jahrhundert und sie wär … die bescheuerte Queen Victoria. Schnapp dir den Kellner, Mary Ann. Ich will noch einen Mai Tai.«
    Mary Ann wedelte nach dem Kellner, aber der flitzte gerade in die Küche. Als sie sich wieder zu dem Pärchen umdrehte, schauten sich die beiden in die Augen, als wären sie allein.
    »Hab ich recht?« fragte D’orothea.
    DeDe zögerte. »Halbwegs, vielleicht.«
    »Von wegen halbwegs. Die Frau ist regressiv.«
    »Na schön … okay. Aber es ist doch nur ihre Art, mit dem Leben zu Rande zu kommen.«
    »Ach nee. Ist das deine Erklärung für ihr Verhalten draußen auf der Straße?«
    »Welches Verhalten?«
    »Ach komm. Die Frau ist besessen von dem Gedanken, die Queen zu treffen.«
    »Sag nicht immer ›die Frau‹. Und sie ist nicht besessen, sie ist nur … interessiert.«
    »Klar. Mmh. So interessiert, daß sie über die Absperrung springt.«
    DeDe verdrehte die Augen. »Sie ist über keine Absperrung gesprungen.«
    D’orothea schnaubte verächtlich. »Aber beinah. Ich hab schon gedacht, sie plättet den Kerl vom Secret Service!«
     
    Als Mrs. Halcyon mit den Kindern zurückkam, hatten sich die Gemüter wieder einigermaßen beruhigt. Mary Ann ließ sich ein oder zwei Minuten auf den Austausch höflicher Belanglosigkeiten ein, schob dann ihren Stuhl zurück und lächelte die Matriarchin entschuldigend an. »Es hat mich sehr gefreut, aber ich glaube, es ist besser, wenn ich draußen auf mein Team warte. Die Jungs kommen ja nie am Empfangschef vorbei, und ich bin nicht sicher, ob …«
    »Ach, bleiben Sie doch noch, meine Liebe. Nur auf einen Drink.«
    DeDe warf Mary Ann einen bedeutsamen Blick zu. »Ich glaube, Mutter will dir erzählen, wie sie die Queen kennengelernt hat.«
    »Oh«, sagte Mary Ann und wandte sich wieder der Matriarchin zu. »Sie sind ihr schon mal begegnet?« Sie fummelte nervös an ihrem Hut. Aus Höflichkeit gegenüber Älteren hatte sie im Leben schon mehr Zeit verloren, als ihr lieb war.
    »Sie ist eine ganz reizende Person«, legte Mrs. Halcyon los. »Wir hatten im Garten von Buckingham Palace einen netten langen Plausch. Ich kam mir vor, als wären wir alte Bekannte.«
    »Wann war das?« fragte Mary Ann.
    »In den Sechzigern«, sagte DeDe. »Daddy hat damals die BOAC-Werbung gemacht.«
    »Ah.« Mary Ann stand auf, hielt aber höflichen Blickkontakt zu Mrs. Halcyon. »Ich nehme an, Sie werden sie dann später sehen. Beim Staatsdiner oder so.«
    Falsch. Das Gesicht der Matriarchin verwandelte sich in die Totenmaske eines Apachen. Hochrot vor Verlegenheit wandte sich Mary Ann hilfesuchend an DeDe. »Das Problem«, erläuterte DeDe, »ist Nancy Reagan.«
    Mary Ann nickte, ohne etwas zu begreifen.
    D’orothea verzog sarkastisch den Mund. »Wenigstens ein Problem, das wir alle haben.«
    DeDe ignorierte die Bemerkung. »Mutter und Mrs. Reagan waren noch nie ein Herz und eine Seele. Mutter denkt, es gibt eine Intrige … um sie vom Staatsdiner auszuschließen.«
    »Denkt?« brauste Mrs. Halcyon auf.
    »Wie auch immer.« DeDe zwinkerte Mary Ann teilnahmsvoll zu, um ihr über die peinliche Situation hinwegzuhelfen. »Du solltest besser los, nicht? Komm, ich bring dich zur
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