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Stadt der blauen Paläste

Stadt der blauen Paläste

Titel: Stadt der blauen Paläste
Autoren: Ingeborg Bayer
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nicht.«
    »Dann müssen wir irgendwann in der Druckerei über die fälligen Steuern reden und über all das, was inzwischen angefallen ist«, stellte Leonardo fest.
    »Der Zensus ist auch irgendwann wieder, auch wenn der Termin noch nicht exakt feststeht.« Er machte eine Pause und kniff die Augen zusammen. »Ich frage mich nur, was du dann angeben willst. Zum Beispiel bei den Herdstellen. Vermutlich acht Herdstellen und …«
    »… und keine Münder und Seelen«, sagte Crestina heiter, »nicht wahr, das ist es doch, was dich belastet. Auch keine Schafe, Hühner, Schweine, Arkebusen, Gondeln und Kutschen und wie oft ich zur Beichte gehe und die Kommunion empfange.«
    »Hör auf«, sagte Leonardo leise, »hör auf. Ich habe nicht so viel Zeit für diesen Unsinn. Ich muss zurückfahren.«
    Crestina lachte. »Der Unsinn liegt beim Zensus, nicht bei mir. Kannst du auch nur irgendjemandem normal Denkenden erzählen, dass sie an den Mündern keinesfalls interessiert, dass es Münder sind, sondern nur, wo diese Münder geboren sind? Falls sie zu den florentinischen Mündern gehören, wird ihnen diese ganze Zählerei überhaupt nichts nützen, weil sie in Notzeiten ihr Brot ganz gewiss nicht in unserer Stadt bekommen.«
    »Ich möchte abfahren«, wiederholte Leonardo mit Nachdruck. »Zum Netzflicken haben wir dich ganz gewiss nicht hergebeten.«
    »Ja, schlimm, dass du mich nun auf dem Hals hast. Aber ich möchte dieses Netz noch fertig flicken«, sagte Crestina und sah sich nach einer der Fischerhütten um. »Tonio bringt mich ganz gewiss nach Hause.«
    »Tonio bringt dich nicht nach Hause, wenn ich mit dir hier zusammen gewesen bin«, sagte Leonardo verärgert und lief zum Ufer. »Du wirst mit mir in meinem Boot fahren.«
    »Ich könnte immerhin nach Alvise rufen«, sagte sie heiter und schaute angestrengt über die Lagune, »oder nach Marcello. Er ist so ein ewiger Trödler, dass ich ihn ganz gewiss noch erreiche mit meiner Stimme, wenn ich mir nur recht Mühe gebe. Soll ich es dir vorführen?« Sie steckte zwei Finger in den Mund und versuchte zu pfeifen.
    Leonardo stieg in das Boot und streckte ihr die Hand entgegen.
    »Gib dir keine Mühe, du hast es noch nie gekonnt.«
    Sie schob das Netz von ihrem Kleid, steckte die Ahle in den Schnurknäuel, legte das Netz sorgfältig zusammen, wischte die Fussel von sich ab. Alles mit einer Langsamkeit, die ihr eigenes Blut zum Kochen gebracht hätte, wenn dieser Vorgang ihr passiert wäre. Dann ging sie zu ihm hinüber, ließ sich in das Boot plumpsen und lachte.
    »Erinnerst du dich eigentlich noch an diesen letzten Zensus, der ja angeblich gut sein soll zur Bekämpfung der Pest, für die Steuer und den Kriegsfall? Irgendwann haben die Bauern in Parma diese Schnüffler, die ihr Vieh zählen wollten, einfach umgebracht, und das ganze Chaos, das diese Behörde zustande brachte, indem sie Männer, Junge und Alte in einen Topf warf, die Säuglinge vergaß, von der Anzahl der Leute, die auf den Galeeren rudern können, ganz zu schweigen, da niemand bereit war, sie anzugeben. Dieses ganze Chaos also kostete sie so viel Geld, dass der Doge dafür ganz gewiss sich einen neuen bucintoro hätte leisten können, da der alte schon längst nicht mehr taugt, um fremde Gäste damit zu beeindrucken.«
    Leonardo bediente das Ruder mit steinernem Gesicht, ohne zu antworten.
    Crestina atmete erleichtert auf. Wenigstens war dieses Treffen absolut ungeeignet gewesen, um ihr einen neuerlichen Heiratsantrag zu machen, was sie befürchtet hatte. Aber vermutlich wusste er ganz genau, dass ihre Antwort immer noch nein gewesen wäre.
    Und es mit einiger Wahrscheinlichkeit auch bleiben würde.

5. B ESUCH AUS N ÜRNBERG
    Sie stand vor der Tür, auf dem Kopf ein kostbares Gebilde aus Perlen und Spitzen, in dem eine blaugrüne Feder wippte, die blonden Haare waren in dicken Flechten um den Kopf gelegt, auf ihrem Gesicht lag ein leichtes Lächeln. Das lange rote Samtkleid, das die Besucherin trug, war an den Ärmeln geschlitzt und ließ weißen Satin hindurchscheinen, um den Hals trug sie eine grünschwarz schillernde Perlenkette.
    Crestina kannte die Frau nicht. Sie erschien ihr ziemlich jung, fast noch ein Mädchen, und sie fand die Kleidung etwas stutzerhaft für dieses Alter.
    »Ihr möchtet gewiss zu Mona Livortasso«, sagte sie freundlich, nachdem die Fremde sie weiterhin anlächelte. »Sie wohnt gerade ein Stockwerk unter mir.«
    Das Gesicht der Fremden verzog sich etwas, das Lachen wurde
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