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Stachel der Erinnerung

Stachel der Erinnerung

Titel: Stachel der Erinnerung
Autoren: Kat Martin
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kleines Kind sind
irgendwo dort draußen in den dunklen Straßen. Sie haben sich fortgestohlen,
mitten in der Nacht, aus irgendeinem irrigen Wunsch heraus, mich beschützen zu
müssen. Und du fragst mich, was ich tun werde?« Er starrte seinen Vater an,
doch dessen Gesicht verriet nichts von seinen Gedanken. »War ich wirklich so schrecklich?«
fragte er mit gebrochener Stimme. »Hast du wirklich geglaubt, ich würde Jessie
und Sarah opfern, um den guten Namen von Belmore zu wahren?«
    Sein Vater
räusperte sich. »Ich habe gewußt, daß dir etwas an ihnen liegt, doch wieviel,
da war ich mir nicht sicher.«
    »Dann werde
ich es jetzt ganz deutlich machen. Ich werde sie suchen. Jessie ist meine Frau,
Sarah ist meine Tochter. Sie sind meine Familie, genau wie du es bist. Ich
liebe sie mehr als mein Leben, und ich gebe überhaupt nichts darum, was die
anderen denken.«
    Der Marquis
richtete sich etwas auf. Zum ersten Mal, seit er den Brief auf dem Schreibtisch
seines Sohnes gelesen hatte, fühlte Reginald Seaton wieder einen
Hoffnungsschimmer in seinem Herzen. »Der Kutscher hat sie zu den Docks
gebracht. Er hat sich Sorgen gemacht, daß etwas nicht stimmt. Deshalb hat er
nach seiner Rückkehr mit Ozzie gesprochen. Ozzie kam zu mir, und ich fand dann
den Brief, den sie dir geschrieben hatte. Ich dachte, es wäre besser, zu
warten, bis du wieder da bist.«
    »Wie lange
ist es her, seit sie abgefahren sind?«
    »Schon ein
paar Stunden. Glaubst du, du wirst sie finden können?«
    Matt
zerdrückte das Papier, das er noch immer in der Faust hielt, zu einer harten
Kugel. »Ich werde sie finden.« Olme einen Blick zurückzuwerfen, ohne auf den
stechenden Schmerz in seiner Schulter zu achten, ging er zur Tür.
    Die Stimme
seines Vaters ließ ihn kurz innehalten. Matthew?
    Er wandte
sich um. »Ja, Vater?«
    Ein gütiges
Lächeln lag um den Mund des alten Mannes. »Willkommen zu Hause, Sohn.«

26
    Sie nannten sie Lady Blue. Jessie
beugte sich über den zerkratzten Holztisch im Red Horse Inn und wischte das
Bier weg, das als Pfütze darauf stand. Lady Blue. Ein merkwürdiger Name für
eine Frau, deren Gesicht so gar nicht zu dem kaum verhohlenen Schmerz zu passen
schien, den sie tapfer in sich zu verbergen versuchte.
    Sie wischte
sich die von der Arbeit rauh gewordenen Hände an der Schürze ab, die sie über
den schlichten braunen Rock gebunden hatte. Dann ging sie zu der Bar zurück,
um eine Runde Grog für die Seeleute zu holen, die gerade das Gasthaus betreten
hatten. Die Taverne stand am Kai, mit Blick auf den Hafen von Charleston, einer
kleinen Hafenstadt an der Küste von Südcarolina.
    Vor über
einem Monat hatten sie, Sarah und Viola die beschwerliche Seereise nach
Amerika gemacht. Sie waren an Bord eines der drei Schiffe gegangen, die am
nächsten Morgen mit der Flut den Hafen von London verlassen hatten. Ein anderes
Schiff war nach Westindien gesegelt, eines zu den weit entfernten Küsten
Indiens. Amerika war Jessie als die beste Lösung erschienen.
    Zusätzlich
war der Kapitän einverstanden gewesen, seine Passagiere zu verheimlichen, für
den Fall, daß Papa Reggie gemerkt hätte, daß sie nicht mehr da war, und
versucht hätte, sie aufzuhalten. Kaum dachte Jessie an ihn, verspürte sie
wieder diesen dicken Kloß im Hals. Sie vermißte ihn so sehr. Sie hoffte, daß es
ihm gutging und daß ihm der Skandal gesundheitlich nicht allzusehr geschadet
hatte.
    Sie
versuchte, nicht an Matthew zu denken. Denn wann immer sie das tat, brach sie
in Tränen aus, und geweint hatte sie mehr als genug, seit sie England verlassen
hatte. Dennoch spiegelte sich ihre Trauer wohl in ihrem Gesicht, denn die
Männer in der Taverne waren geradezu rührend besorgt, sie aufzumuntern. Sie
hatten ihr Geschichten erzählt von ihren Reisen um die Welt, hatten
ihr kleine Geschenke mitgebracht und Lieder für sie gesungen. Sie behandelten
sie mit einer Freundlichkeit, die Jessie nicht erwartet hatte. Sie beschützten
sie, wenn ein Fremder zu grob wurde oder die Späße von einem der Seeleute zu
dreist.
    Sie nannten
sie Lady Blue – wegen ihrer wunderschönen, aber so traurigen blauen Augen.
    Über
Jessies Gesicht glitt ein verlorenes Lächeln. Sie dachte an die kleine Sarah,
die auf ihrem Strohbett auf dem Fußboden des Zimmers schlief, das die drei sich
teilten und das über einem Stall lag. Sie wünschte, das Kind würde nicht das
gleiche Leben leben müssen, das sie als Kind erlitten hatte.
    Aber
vielleicht mußte sie das ja gar nicht.
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