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Spurlos

Spurlos

Titel: Spurlos
Autoren: Manuela Martini
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wartete.
    „Ich musste nun doch schon nach Broome. Ich wollte auf dich warten, doch dann rief Erol an und meinte, wir müssten unbedingt heute Abend noch diesen Typen von der Firma treffen – du weißt schon, diesen Typen, der …“
    Es war ihr egal, wie der „Typ“ hieß. Sie war sicher, er exis tierte nicht.
    „Ich bin dann morgen Nachmittag – oder, oder spätestens am frühen Abend wieder zurück.“
    Sie wollte jetzt einfach auflegen, sich die Lügen und die Heuchelei nicht mehr anhören. Ihr Vorsatz, ihre Hoffnung waren dahin.
    „He, Darling, du bist doch jetzt nicht sauer, oder? Es ist doch für uns! Ich tue das alles doch nur für uns – und für Prudence. Ich liebe dich.“
    Sie hätte am liebsten das Handy in die Ecke geworfen, aus Wut darüber, dass e r so schamlos log, doch sie sagte: „Gute Nacht.“
    „Gute Nacht? Willst du nicht, dass ich dich heute noch mal anrufe?“
    „Nein. Ich gehe früh ins Bett. Ich bin ziemlich erledigt.“ Warum schleuderte sie ihm nicht die Wahrheit ins Gesicht: Warum Valerie Tate?
    „ Schlaf’ dich aus. Gute Nacht, Darling.“ Wahrscheinlich war er sogar erleichtert, dass er in der Nacht nicht mehr zu Hause anrufen und lügen müsste.
    Sie ließ die Tüten auf der Arbeitsplatte stehen, setzte sich an den Esstisch, vergrub den Kopf in die Hände und heulte. Als keine Tränen mehr kamen, stellte sie sich vor, wie zwei Schlägertypen die Tür eintraten und Valerie Tate die Finger brachen.
    Sie griff zum Telefon. Ihre Schwester war auf der Heimfahrt, sie saß im Auto.
    „Christine. Ich hab’s mir überlegt. Ich will, dass jemand Valerie Tate ganz klar zu verstehen gibt, dass sie mit Matthew Schluss machen soll!“
    „He, du hast dich also durchgerungen! Das wird aber was kosten. Ich rede mal mit Phil.“
    Als sie auflegte, fühlte sie sich etwas besser. Das Gefühl, ohnmächtig der Entwicklung der Dinge – und ihres Lebens – gegenüberzustehen, hatte sich gewandelt. Sie spürte wieder, dass sie die Dinge in der Hand hatte. Jeder ist für sein Glück verantwortlich, fiel ihr ein. Ja. Sie hatte gerade eben etwas für ihres – und das für Matthew – und Prudence getan. Sie verstaute die Einkäufe und rief Meg an, ob sie zum Abendessen kommen dürfe. Eine halbe Stunde später parkte sie vor Megs und Nicks Haus.
    „Hi, Alison!“ Meg empfing sie mit offenen Armen. „Wir haben kurzerhand unsere Barbecueparty auf heute verlegt und noch ein paar Leute eingeladen. Nun, einen kennst du ja schon.“ Alison folgte Megs Blick hinauf zur Veranda. Dort, am oberen Ende der Treppe lehnte Brett Horkay am Geländer und lächelte zu ihr herunter.

    Damals hätte er es erkennen müssen, das Zeichen. Das Zittern, das erst seine Füße, dann seine Beine und schließlich seinen ganzen Körper schüttelte! Noch wäre Zeit gewesen – doch er wollte das Zittern nicht spüren und den Riss in der Wand nicht sehen, wollte nicht wahrhaben, dass alles seinetwegen geschah.
    Er hat die Warnung nicht erkannt. Vielleicht hätte er noch alles verhindern können, dachte er und hob den Blick.

    Die spindeldürren Äste hielten den Mond gefangen. Die Stimme hallte in seinem Kopf, und er murmelte: „Ja, gleich.“ Er packte den Plastikumhang und das Messer aus der Einkaufstüte aus, zupfte die Handschuhe zurecht, zog den Plastikumhang über, nahm das Messer und kniete sich. Kaltes Mondlicht beschien das weiße Fleisch.

DIENSTAG, 12. JUNI

1
    „Wir haben immer noch keinen Kaffee!“ Die Goldarmreifen von Alex Winger klimperten als sie die Hände in die Hüften stemmte und sich ungehalten nach dem Gerichtsdiener umsah. Halb zehn. Shane saß in der ersten Reihe der rot gepolsterten Sitze und sah zum wiederholten Mal auf seine Uhr. Er hätte auch nichts gegen einen Kaffee gehabt. Der Staatsanwalt warf nervöse Blicke auf seine Armbanduhr und rückte erneut die gelockte Perücke zurecht. Man schien auf etwas oder jemanden zu warten. Vielleicht hatte sich der Richter verspätet?
    Shane wollte nach Hause. Er hasste dieses Klima, die feuchte Hitze, von der die Einwohner behaupteten, sie sei trocken und erst ab August feucht. Er wunderte sich nicht, dass die holländischen Seefahrer, die als erste Europäer im siebzehnten Jahrhundert auf die nördliche, unwirtliche Küste des Kontinents stießen, recht bald wieder die Flucht ergriffen – um sich, wie andere Europäer auch, zweihundert Jahre lang nicht mehr sehen zu lassen.
    Gestern Abend hatte er allein in einem Pub in der belebten Mitchell-Street
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